Im Gespräch mit Holger Nawratil von Asseco

Inhalt für Industrie 4.0 und die Cloud

Im Interview erklärt Holger Nawratil, Vorstand der Asseco Solutions AG, wie der Umstieg in die Cloud gelingen kann und wie man Industrie 4.0 mit Inhalt füllt.

  • Holger Nawratil, Asseco

    "Die ERP-Branche ist sehr zurückhaltend. Erst wenn alle anderen Branchen sich bereits bewegt haben, zieht der ERP-Sektor nach", meint Holger Nawratil, Asseco.

  • Holger Nawratil, Asseco

    "Uneingeschränkte Update-Fähigkeit, unproblematische Release-Wechsel sowie die Möglichkeit zur individuellen Konfiguration ohne Programmierkenntnisse sind für uns Grundvoraussetzung für Cloud-ERP-Systeme", so Holger Nawratil von Asseco.

  • Holger Nawratil, Asseco

    "Predictive Maintenance ist eigentlich 'nur' ein Abfallprodukt und der Einstieg in die Industrie 4.0. Mittlerweile sind wir einige Schritte weiter", meint Holger Nawratil von Asseco.

  • Holger Nawratil, Asseco

    Holger Nawratil von Asseco weiß: "IT-Leiter sind nicht mehr nur für Soft- und Hardware zuständig, sondern werden immer mehr zu Prozessberatern."

  • Holger Nawratil, Asseco

    Er ist der Vorstand der Asseco Solutions AG: Holger Nawratil.

Mit ihrer ERP-Software APplus befindet sich die Asseco Solutions AG auf Wachstumskurs: Innerhalb von knapp vier Jahren konnten sowohl der Umsatz als auch die Mitarbeiterzahl verdoppelt werden. Um diesen positiven Trend fortzuführen, investiert das Softwarehaus viel Entwicklungsarbeit in drei Kernbereiche, die Asseco-Vorstand Holger Nawratil in gleichem Maße für das Fortkommen des eigenen Unternehmens wie auch für die Zukunftsfähigkeit der Anwender für extrem bedeutsam hält. Neben der Cloud Fähigkeit der Software ist dies zum einen der Themenkomplex Industrie 4.0, zum anderen der Aspekt der Usability. Das Hervorheben der Bedienbarkeit lässt bereits erahnen, dass Asseco bei der Weiterentwicklung seiner Software nicht das Aufgreifen kurzfristiger Trends, sondern stets den konkreten Nutzen für die Anwender in den Fokus rückt.

IT-DIRECTOR: Herr Nawratil, geben Sie uns doch bitte einen kurzen Einblick in Ihr Unternehmen.
H. Nawratil:
Asseco Solutions ist ursprünglich aus der 1993 gegründeten AP AG aus Karlsruhe hervorgegangen, die als Beratungshaus zunächst auf die Prozessverbesserung in Fertigungsunternehmen spezialisiert war. Schnell erkannten die Verantwortlichen, dass es damals keine geeignete Software für die Fertigung gab und begannen mit der Entwicklung einer eigenen Client-/Server-Lösung.

Bereits vor der Jahrtausendwende war der damalige Vorstand so visionär, das Produkt komplett auf Webserver-Technologie umzustellen. Damals sahen jedoch zunächst die wenigsten Anwender einen Vorteil darin, dass eine Software im Webbrowser anstatt über den Client laufen sollte. Die Nutzer wollten nicht mehr bezahlen, nur weil der IT-Leiter der Meinung war, es handele sich um die Technologie der Zukunft. Der direkte Kundennutzen einer vereinheitlichten Bedienung, die Möglichkeiten mit Hyperlinks zu arbeiten und nicht zuletzt die einfachere Möglichkeit von extern auf das System zuzugreifen, waren nur schwer vermittelbar.

Erst in den letzten Jahren wurde vielen Unternehmen der Nutzen der Webtechnologie zunehmend bewusst, was sich deutlich an unseren Umsatzsprüngen ablesen lässt. Vor fünf Jahren lagen wir bei ca. 15 Mio. Euro, für nächstes Jahr planen wir mit 30 Mio. Euro. Innerhalb von vier Jahren haben wir uns in einem umkämpften Marktumfeld demnach verdoppelt; nicht nur beim Umsatz, sondern auch bei der Mitarbeiterzahl. Dort liegen wir derzeit bei knapp 280.

IT-DIRECTOR: Wie gesättigt ist der ERP-Markt? Lässt sich Neugeschäft nur noch über Verdrängung realisieren?
H. Nawratil:
Wir gewinnen pro Jahr zwischen 50 und 60 Neukunden. Dem Zyklus folgend, dass im Vorfeld der Jahr-2000-Problematik viele Unternehmen auf damals moderne Systeme umgestiegen sind, findet derzeit vielerorts ein erneuter Wechsel statt. Eigenentwickelte Systeme finden wir im Grunde kaum noch, sodass es folglich meist nur um Verdrängung gehen kann. Wenn sich andere ERP-Anbieter mit Altsystemen dann schwertun, müssen wir mit den richtigen Produkten zur Stelle sein.

Deshalb entschieden wir vor zwei Jahren, zwei zusätzliche Produktbereiche zu etablieren. Es geht einerseits um den Themenkreis „Industrie 4.0“, wobei zunächst einmal zählt, dieses arg strapazierte Schlagwort mit konkretem Nutzen zu füllen. Zum zweiten widmen wir uns intensiv der Bereitstellung unserer Software über die Cloud, was in unseren Augen immer wichtiger wird. Vor diesem Hintergrund haben wir kürzlich eine cloudbasierte ERP-Lösung für Kleinstunternehmen auf den Markt gebracht. Mit dieser Lösung wollen wir in den Cloud-Markt hineinwachsen, um zu verstehen, wie er funktioniert, wie wir uns als Anbieter aufstellen müssen und welche Gegebenheiten wir generell antreffen.

IT-DIRECTOR: Dieses Produkt richtet sich ausschließlich an kleine Unternehmen?
H. Nawratil:
Ja. Die Software bietet lediglich Basisfunktionalitäten wie Angebotserstellung, Auftragsabwicklung, Rechnungen und Bestellungen, also reine Standardprozesse. Dahinter liegt ein günstiges Preismodell.

Wir sind in diesem Segment mittlerweile relativ erfolgreich. Nachdem wir zunächst geglaubt hatten, wir könnten ein solches Produkt selbst vertreiben, stellten wir fest, dass es doch recht anspruchsvoll ist, Software über das Web zu verkaufen. Folglich haben wir uns Multiplikatoren gesucht und haben mit einer bekannten deutschen Bankengruppe einen starken Partner gefunden, der unser Produkt in Deutschland vertreibt. Mit diesem Ansatz ist die VR-Gruppe sehr erfolgreich, so dass wir das Konzept auch auf andere Länder übertragen wollen.

IT-DIRECTOR: Die Kleinstkunden dienen also als Blaupause für den Einsatz von Cloud-ERP bei größeren Unternehmen?
H. Nawratil:
Exakt. Erstens verändert sich der Markt generell in diese Richtung, zweitens können wir extrem viel Input aus jedem einzelnen dieser Projekte ziehen und die Erkenntnisse in unser „großes“ ERP-System zurückspielen.

IT-DIRECTOR: Kann dieses Prinzip denn funktionieren?
H. Nawratil:
Viele ERP-Anbieter vertreten den in meinen Augen recht konservativen Ansatz, ERP-Prozesse seien zu komplex und zu anspruchsvoll für Veränderungen und Innovationen. Analog dazu argumentieren viele Anbieter, sie könnten ihre Lösungen aufgrund der schwierigen oder fehlenden Konfigurationsmöglichkeiten nicht über die Cloud bereitstellen. Wir vertreten einen anderen Standpunkt und wollen in diesem für ERP-Belange neuen Umfeld auf allen Ebenen lernen. Gleichzeitig werden die Anforderungen unserer Kunden immer dynamischer und darauf wollen wir möglichst flexibel und einfach antworten können.

Ich denke, ERP-Systeme müssten sich neuen technologischen Ansätzen gegenüber viel offener zeigen. Die ERP-Branche ist generell zu zurückhaltend. Es wird nicht viel investiert, stattdessen wird die Komplexität der Systeme vorgeschoben. Erst wenn alle anderen Branchen sich bereits in eine bestimmte Richtung bewegt haben, zieht der ERP-Sektor nach. Beispiel Cloud-Abrechnung: Microsoft stellt um, Adobe und die CAD-Anbieter stellen um, im ERP-Umfeld hingegen tut sich wenig.

IT-DIRECTOR: Vielleicht deshalb, weil das Lizenzgeschäft so einträglich ist und die Audits ein tolles Geschäftsmodell darstellen. Fragt sich, warum die Anbieter überhaupt auf Cloud-Technologien setzen sollten?
H. Nawratil:
Dies ist grundsätzlich ein guter Einwand. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass sich die gesamte Benutzerlandschaft verändern wird. ERP Systeme werden sich einfacher in die Gesamt EDV einbetten müssen. Nachfolgende User-Generationen schätzen Flexibilität. Und das Mieten von Software ist eine viel flexiblere und zeitgemäßere Art der Bereitstellung von Software.

IT-DIRECTOR: Das hieße aber, dass die ERP-Anbieter Ihre komplizierten Abrechnungsmetriken aufgeben müssten, die für viele Anwender ohnehin einen riesigen Aufwand bedeuten.
H. Nawratil:
Stimmt, selbst unser heutiges Abrechnungsmodell lässt sich auf einem Notizzettel beschreiben. In Zukunft muss die Abrechnung nach unserem Verständnis automatisch erfolgen. Wir müssen wissen, welche Nutzer zu welchem Zeitpunkt welche Funktionalitäten genutzt haben, woraus sich automatisch die Abrechnung erstellen lässt.

IT-DIRECTOR: Ist Asseco denn bereits so weit?
H. Nawratil:
Noch nicht ganz, aber mit dem Cloud-ERP zeigen wir es bereits im Kleinen. Unser Ziel ist es, exakt diese Logik auf unser „großes“ ERP-System zu übertragen. Es steht noch nicht genau fest, wann die Umstellung erfolgt – ob in fünf oder in zehn Jahren – aber wir arbeiten emsig daran.

IT-DIRECTOR: Wer treibt die Entwicklung? Ist es die Geschäftsführung oder der Druck der Anwender?
H. Nawratil:
Die Initiative geht von uns aus. Natürlich gibt es inzwischen auch bereits Anwender, die willens sind, in diese Richtung zu gehen. Ehrlicherweise muss man jedoch konstatieren, dass die Cloud im ERP-Segment zum gegenwärtigen Zeitpunkt für viele Unternehmen noch keine übermäßige Relevanz besitzt, wenngleich das Interesse stetig zunimmt. Zumindest werden in letzter Zeit vermehrt Angebote angefragt, die irgendwo zwischen dem klassischen Lizenzmodell und einem dynamischen Mietmodell anzusiedeln sind. Mittlerweile entscheidet sich eines von zehn größeren Unternehmen für ein wie auch immer gestaltetes Mietmodell.

IT-DIRECTOR: Bei datenschutzrechtlich unkritischen Daten nachvollziehbar. Was aber ist beispielsweise mit R&D-Daten?
H. Nawratil:
Diese Differenzierung treffen die Anwender in der Tat. In diesem Falle empfehlen wir hybride Ansätze unter Einbeziehung von Public und Private Cloud. Alle Spielarten sind denkbar: Die Kunden können lokal bei sich hosten oder die Daten an einen externen Hoster geben. Für Unternehmensverantwortliche ist es wichtig zu wissen, wo ihre Daten liegen.

IT-DIRECTOR: Sollte diese Frage aber nicht auch mit Blick auf die Gesetzgebung gestellt werden?
H. Nawratil:
In Gesprächen mit Anwendern hören wir immer wieder, dass es jüngeren Menschen eher egal ist, wo die Daten liegen. Dies ist in unseren Augen unverständlich. Wir tun alles, um die Sicherheit der Daten zu gewährleisten. Die bereits angesprochene Bankenlösung hosten wir bei einem Provider in Salzburg, weil deutsche und österreichische Datenschutzverordnungen ähnlich streng sind. Die Anwender können aber auch Frankfurt als Datenstandort wählen.

IT-DIRECTOR: Insgesamt erscheint der Umstieg in die Cloud ein langwierigerer Prozess – langwieriger als gedacht?
H. Nawratil:
Der Umstieg wird nicht von heute auf morgen erfolgen. Auch Software-Anbieter aus anderen Segmenten, z.B. aus dem CAD-Bereich, bieten noch nicht der Weisheit letzter Schluss. Die Anwender können die Software zwar mieten, müssen jedoch zu Jahresbeginn für zwölf Monate im Voraus bezahlen. Diese Art der Abrechnung unterscheidet sich im Grunde nicht vom klassischen Lizenzmodell.

Bei all dem darf man nicht außer Acht lassen, dass der Umstieg auch für die Anbieter mit Schwierigkeiten verbunden ist. Denn in dem Jahr der Umstellung vom klassischen Lizenzmodell auf eine monatliche Abrechnung kommt es naturgemäß zu Umsatzeinbrüchen. Deshalb ist ein fest definierter Zeitraum der Transformation unausweichlich und wird vermutlich auch schrittweise erfolgen.

IT-DIRECTOR: Die Cloud verspricht Flexibilität in der Bereitstellung. Was aber ist mit der Flexibilität der Prozesse. Wie individuell kann ERP aus der Cloud sein?
H. Nawratil:
Für uns steht außer Frage, dass wir unsere Software außer bei Kleinstunternehmen nicht im Standard über alle Anwenderfirmen stülpen können. Denn jedes Unternehmen weist individuelle Ausprägungen auf. Wir arbeiten gerade intensiv daran, den Usern zu ermöglichen, unsere Software auch in der Cloud bis zu einem gewissen Grade selbst parametrisieren zu können und Anpassungen wie neue Eingabefelder oder eigene Berechnungslogiken selbst vornehmen zu können.

Aus diesem Grund haben wir die Erweiterung „Dynamische Attribute“ entwickelt, mit der die meisten Unternehmen bis zu 80 oder 90 Prozent der erforderlichen Konfigurationen und Anpassungen der Prozesskette selbst erstellen können. Prozesswissen und ein gewisses Verständnis reichen unter Einhaltung bestimmter, vorab definierter Regeln. Dieses Tool steht jetzt zur Verfügung, es ist technologisch und funktional ausgereift, lediglich die Usability muss für den Enduser noch vereinfacht werden.

Uneingeschränkte Updatefähigkeit, unproblematische Releasewechsel sowie die Möglichkeit zur individuellen Konfiguration ohne Programmierkenntnisse sind in unseren Augen Grundvoraussetzungen für Cloud-ERP-Systeme. Woran wir derzeit arbeiten, – und da wird es in der Cloud schwierig – ist die Abbildung extremer individueller Anforderungen, etwa in der Preisfindung. Hier haben wir mittlerweile Lösungsansätze, müssen momentan jedoch noch programmiertechnisch eingreifen.

IT-DIRECTOR: Handelt es sich bei der Erweiterung um ein externes Modul?
H. Nawratil:
Wir bedienen uns so genannter Exit Points. Spezielle, individuelle Bereiche wie besagte Preisfindung bilden wir nicht im Standard ab, sondern benutzerspezifisch. Über den Exit Point gelangt der User dann in ein spezielles Modul bzw. einen speziellen Progammiercode. Da wir seit längerem hybrid-fähig sind, kann der Anwender bestimmen, welche Daten er in die Private Cloud und welche er in die Public Cloud auslagert.

IT-DIRECTOR: Es geht also nicht nur um die Anpassung der Bedienoberfläche, sondern um die Modellierung individueller Prozesse?
H. Nawratil:
Genau, es geht um das Design und die Modellierung individueller Abläufe. Technisch haben wir die Möglichkeit der Anpassung inzwischen umgesetzt, allerdings hapert es wie gesagt noch ein wenig an der Usability: Der Prozess der Modellierung muss noch anwenderfreundlicher gestaltet werden.

Wichtig in Cloud-Szenarien ist natürlich auch immer die Konnektivität zu anderen Systemen. Um diese zu gewährleisten, haben wir ein Schnittstellen-Framework zur Anbindung anderer Systeme gebaut.

IT-DIRECTOR: Für welche Systeme beispielsweise?
H. Nawratil:
Das können Maschinen, Lieferanten, individuelle Kundenapplikationen oder Web-Shops sein, ebenso CAD-Systeme und Hochregallager. Klassische Schnittstellen, die die Anwender nicht extra vom Anbieter entwickeln lassen müssen, sondern nach entsprechender Schulung mithilfe des von uns bereitgestellten Tools selbst erstellen können.

Apropos Schulung: Ein weiterer Punkt, mit dem wir uns gerade intensiv beschäftigen, ist das generelle Einführungskonzept. Die Schulungs- und Trainingsmethoden ändern sich gerade massiv. Die jüngere Generation schaut sich bestimmte Dinge heute häufig nur noch als Video-Tutorial an, Präsenzschulungen und Handbücher spielen in dieser Altersgruppe so gut wie keine Rolle mehr. Wir schauen nun, inwieweit sich solche Konzepte in unser Umfeld transferieren lassen.

IT-DIRECTOR: Lassen sich bereits Tendenzen erkennen?
H. Nawratil:
Die älteren IT-Leiter präferieren noch die klassische Vor-Ort- Schulung, während sich einige jüngere vereinzelt bereits bemängeln, wir würden keine Videos bereitstellen. Dieser Trend wird zunehmen, weil sich über das Visuelle anscheinend schneller lernen lässt.

Natürlich lässt sich individuelle Beratung nicht komplett ersetzen, aber viele grundsätzliche Inhalte ließen sich auf diese Weise schneller vermitteln. Etwa die Grundlagenfrage, wie man einen auftragsdisponierten Artikel anlegen muss. Daraus ergibt sich zudem der angenehme Nebeneffekt, dass wir uns verstärkt auf die Prozessberatung und -optimierung konzentrieren können.

IT-DIRECTOR: Stößt man mit all dem nicht auf den Widerstand einerseits der Beratungshäuser, die ja weiterhin ihre Anpassungsprojekte machen wollen, und andererseits seitens der IT-Leiter, die in standardisierten Szenarien an Einfluss verlieren?
H. Nawratil:
Beide Tendenzen sind denkbar und erkennbar. Natürlich konnten vorher für Anpassungen Berater- und Dienstleistungsstunden abgerechnet werden, die die Anwender auch bereitwillig bezahlten. Das wird wahrscheinlich in Zukunft weniger werden. Dennoch beschreiten wir ganz konsequent unseren Weg, weil durch die wegfallenden Manntage auch Zeit für wirkliche Beratung oder für neue Projekte frei wird.

Was die Anwenderseite anbelangt: Wir haben in jüngerer Vergangenheit allen Ernstes zwei Projekte verloren, mit der Begründung, APplus sei zu modern. Vielleicht befürchten einige IT-Leiter, sie könnten bedingt durch unsere Offenheit und Konfigurierbarkeit entbehrlicher werden. Wenn die Mitarbeiter nicht wegen jeder Kleinigkeit die IT rufen müssen, mindert dies natürlich den Einfluss der IT.

IT-DIRECTOR: Wer sind denn in mittelständischen und größeren Unternehmen Ihre Ansprechpartner, wenn es um diese neuen Ansätze geht?
H. Nawratil:
Auch an dieser Stelle bemerken wir Veränderungen. Früher wurden ERP-Projekte fast immer als reine IT-Projekte gesehen, in denen technisch geprägte IT-Leiter automatisch die Projektleiter waren. Somit waren Programmierspezialisten mit wenig Prozesskenntnis maßgebend in der Prozessmodellierung. Das waren dann genau die Projekte, die oftmals scheiterten.

Heute sind ERP-Projekte keine reinen IT-Projekte mehr, sondern Organisationsprojekte. Unsere Ansprechpartner sind somit Personen mit Prozessverständnis: entweder Geschäftsführer oder Bereichsleiter – oder auch IT-Verantwortliche mit Prozesswissen. Denn mittlerweile hat sich die Rolle der IT-Leiter oftmals grundlegend verändert: Sie sind nicht mehr nur für Software, Hardware, Netzwerk und Infrastruktur zuständig, sondern werden immer mehr zu Prozess- und Organisationsberatern. Und diese IT-Leiter mit ausgeprägtem Prozesswissen werden naturgemäß weiterhin die Projekthoheit für sich beanspruchen.

Die IT-Leiter klassischer Prägung, die für Infrastruktur und Netzwerk verantwortlich sind, sind zwar noch in die Projekte involviert, sind jedoch zunehmend für die technische Umsetzung und Verfügbarkeit der IT verantwortlich.

IT-DIRECTOR: Die Rolle der IT-Verantwortlichen verändert sich, Prozessketten verändern sich – wie unterstützen moderne ERP-Systeme diesen Wandel funktional?
H. Nawratil:
Durch moderne Technologien und die Möglichkeiten der Integration. An dieser Stelle hilft uns ganz entscheidend unsere neue Industrie-4.0-Anwendung. Es geht darum, den Anwendern einen wirklichen Zusatznutzen zum klassischen ERP zu bieten. Denn wenn man ehrlich ist, unterscheiden sich die Systeme rein von der Funktionalität her im Grunde kaum noch. Die Architektur, das Lizenzmodell und die Usability klammere ich hier ausdrücklich aus, denn hier unterscheiden wir uns ausdrücklich von anderen Systemen.

IT-DIRECTOR: Wie unterscheiden Sie sich hinsichtlich Usability?
H. Nawratil:
Die Bedienbarkeit steht momentan vielleicht nicht ganz so im Fokus wie die Cloud, die Lizenzthematik oder die Architektur, aber auch Usability erachten wir als durchgehend relevantes Thema und haben dazu eine eigene Abteilung aufgebaut, die sich um die Optimierung der Handhabung kümmert.

Die Herausforderung besteht darin, unsere Software auf verschiedensten Gerätetypen und Plattformen bereitzustellen: auf Tablets, Smartphones, Laptops und herkömmlichen Desktop-Geräten. Version 7.0, die 2017 herauskommt, soll auf allen Endgeräten responsiv laufen. Technologisch sind wir so weit, nun geht es noch um die Einsatzbereiche. Am stärksten gefragt ist Responsivität wegen der vielen verschiedenen Gerätetypen natürlich im Vertriebs-, Kunden- und Servicebereich.

IT-DIRECTOR: Füllen wir nun den Begriff Industrie 4.0 mit Inhalt. Welche Ansätze verfolgen Sie neben der immer genannten Predictive Maintenance?
H. Nawratil:
Auch wir haben zunächst genau diesen Weg eingeschlagen. Es ging im ersten Schritt darum, bislang ungenutzte Daten aus den Maschinen auszulesen und zu analysieren. Predictive Maintenance ist in diesem Zusammenhang eigentlich „nur“ ein Abfallprodukt und der Einstieg in Industrie 4.0. Mittlerweile sind wir einige Schritte weiter, denn dank unserer neuen Applikation mit fertigen Lösungspaketen für Industrie 4.0 haben wir bereits einige Projekte gewinnen können – beispielsweise den Kunststoff-Recycling-Anlagenbauer NGR.

Die Problematik besteht in vielen Unternehmen darin, dass der Druck auf die IT-Verantwortlichen immens steigt, in Sachen Industrie 4.0 endlich etwas Handfestes vorzuzeigen. Entsprechend suchen die IT-Abteilungen verzweifelt nach umsetzbaren Projektbeispielen. Mit einem großen Unternehmen haben wir Workshops durchgeführt, in denen wir unter anderem das NGR-Projekt vorstellten. Die Resonanz war sehr gut, letztlich wurde dann aber mit der riesigen IT-Abteilung ein eigenes Projekt umgesetzt. Daraufhin trafen wir die Entscheidung, solche Projekte nicht mehr mit den ganz großen Unternehmen anzugehen, sondern Lösungen für unsere klassische Klientel zu entwickeln.

IT-DIRECTOR: Können Sie das Projekt NGR kurz beschreiben?
H. Nawratil:
In Workshops ging es zunächst um die Anbindung der Maschinen, die sich relativ schnell herstellen ließ. Bei der Analyse der Daten – 130 Parameter werden fünfmal pro Minute ausgelesen und in eine Azure-Public-Cloud gelegt –, stellten wir fest, dass einige Maschinen gleichen Typs unverständlicherweise unterschiedlichen Output lieferten.

Einer unserer Partner, der im Bereich Künstliche Intelligenz unterwegs ist, wurde hinzugezogen, um zu ergründen, ob es bislang übersehene Abhängigkeiten geben könnte. Schnell stellte sich heraus, dass die Konfiguration der Maschinen angepasst werden musste.

Auf Basis dieser Erkenntnisse entwarfen wir ein Modell, dass neben besserer Verfügbarkeit einen höheren Maschinen-Output generiert. Mittels einer App kann der Maschinenführer die exakten Daten jeder Maschine einsehen und erhält etwaige Optimierungsvorschläge. Da wir mittlerweile sehr viele Daten von sehr vielen Maschinen auswerten und vergleichen können, ließ sich deren Ausstoß um zehn bis 13 Prozent steigern.

Genau in solchen Szenarien liegt der Anwendernutzen von Industrie 4.0. Wir verfügen mittlerweile über mehrere Module, um Maschinendaten auszulesen, zu analysieren und Aktionen wie Service-Einsätze anzustoßen. Und wir haben ein Modul, um Maschinendaten zu vergleichen und Aktionen vorzuschlagen, um Abweichungen auszugleichen.

IT-DIRECTOR: Wie schätzen Sie die generelle Nachfrage für solche Module ein?
H. Nawratil:
Ein Beleg für den Nutzen und die Nachfrage ist die Tatsache, dass NGR auf der Kunststoffmesse K normalerweise zwei bis drei Maschinen vom Stand weg verkauft. Dieses Jahr wurden, nach der Vorstellung der neuen Möglichkeiten, eine zweistellige Anzahl Maschinen direkt auf der Messe verkauft. Die Käufer sahen, dass nicht wieder nur Schlagworte verkauft werden, sondern dass das Schlagwort mit Inhalt gefüllt worden war. Die Maschinen waren aufgebaut und die Industrie-4.0-Module konnten live gezeigt werden, mit echten Daten.

IT-DIRECTOR: Sind die Industrie-4.0-Komponenten direkt in die Maschinen integriert?
H. Nawratil:
Ja, mittels verbauter Sensoren werden die Daten abgegriffen und in die Cloud versendet. Aber auch ältere Maschinen haben wir bereits nachgerüstet. Dafür hat NGR ein eigenes Steuergerät gebaut, das den Datenabgriff möglich macht.

IT-DIRECTOR: Ist das grundsätzlich mit allen Maschinen möglich?
H. Nawratil:
Grundsätzlich ja. Zur Maschinenanbindung gibt es drei Wege. Am einfachsten ist es, wenn das Unternehmen selbst bereits eine gewisse Logik entwickelt hat, um Maschinendaten abzugreifen. Denn dann braucht man sie lediglich über einen Web-Service bereitzustellen und kann Aktionen auslösen.

Daneben gibt es „mittelalte“ Maschinen, die zwar mittels Sensoren Daten erfassen, die aber aufgrund fehlender Logik keine Aktionen anstoßen können. Für diese Fälle haben wir ein Modul entwickelt, an das wir die bestehenden Sensoren andocken und die Daten wiederum über Web-Services in die Cloud schicken.

Und dann gibt es den Regelfall der alten Maschinen, die über keinerlei Sensorik verfügen. Zuerst gab es die Überlegung, eigene Module und Elektronikbausteine dafür zu konzipieren. Wir haben uns dann jedoch dagegen entschieden und arbeiten stattdessen mit einem Partner zusammen, die genau solche Module bereits entwickelt hatte. Damit kann man grundsätzliche Messwerte wie Druck und Temperatur messen und weiterleiten.

IT-DIRECTOR: Ein Problem von Industrie 4.0 sind fehlende Standards. Um eine flächendeckende Vernetzung herzustellen, kann aber doch nicht jeder sein eigenes Süppchen kochen, oder?
H. Nawratil:
Fehlende übergreifende Standards sind tatsächlich problematisch. Die erste Hürde ist, dass jedes Unternehmen den Begriff Industrie 4.0 anders definiert und daraus abgeleitet jeweils eigene Standards kreiert.

Dies ist ein Artikel aus unserer Print-Ausgabe 01-02/2017. Bestellen Sie ein kostenfreies Probe-Abo.

Ich glaube, dass wie im Falle von NGR zuerst die Anwendungsfälle identifiziert werden müssen, bevor man mit Standardisierung beginnen kann. Ich glaube aber auch, dass der Begriff Industrie 4.0 relativ bald wieder verschwinden wird, weil er aufgrund der vielfältigen Auslegungsmöglichkeiten mittlerweile zu diffus gebraucht wird. Letztlich geht es doch schlicht und ergreifend um digitale Integration. Wir sprechen auch gar nicht mehr so gerne von Industrie 4.0, sondern von der Vernetzung und Integration smarter Geräte und Applikationen.

Integration und Vernetzung erfordern aber nun einmal zwangsläufig Standards, denn die Unternehmen müssen in der Lage sein, Daten sehr schnell unkompliziert auszutauschen.

IT-DIRECTOR: Abschließende Frage: Inwieweit belegt Ihr Abschneiden in der alle zwei Jahre erscheinenden ERP-Zufriedenheitsstudie von Trovarit Ihren Weg?
H. Nawratil:
Wir sind natürlich sehr stolz auf das Ergebnis der ERP-Zufriedenheitsstudie, die die Markttendenzen unserer meiner Meinung nach relativ wahrheitsgetreu widerspiegelt, weil die Anwender freiwillig und anonym ihr Votum abgeben. Entsprechend der Kundenbasis muss eine bestimmte Anzahl an Bewertungen eingehen. Sind die User mit ihrem Anbieter nicht zufrieden, tun sie dies kund. Wir können auch aus den abgefragten Trends und Interessen der Anwender Schlüsse für unsere zukünftige Entwicklung ziehen.

Das gute Abschneiden in den letzten beiden Studien sehen wir daher schon als Bestätigung unserer Arbeit, die versucht dem Anwendernutzen in den Vordergrund zu stellen. Dies wollen wir auch in der nächsten Studie wieder beweisen.


Holger Nawratil
Alter: 51 Jahre
Werdegang:
als studierter Diplom-Wirtschaftsingenieur startete Holger Nawratil seine Karriere in der Unternehmensberatung. Bereits seit Gründung der Asseco Solutions (damals noch AP AG) im Jahre 1993 ist er in leitenden Positionen im Unternehmen tätig. Vor seiner Berufung an die Unternehmensspitze war Holger Nawratil Leiter der Niederlassung Karlsruhe sowie Bereichsleiter Technik.
Derzeitige Position: Vorstand Entwicklung und Consulting.
Hobbies: Mountainbiken und Bergsteigen – beides so oft wie möglich mit Frau und Tochter.


Bildquelle: Claus Uhlendorf

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