Der Lackmustest bei ERP-Projekten lautet: Werden die Mitarbeiter die neue Lösung annehmen? Technik und Funktionalitäten sind das eine. Doch wenn die Anwender sich verweigern, scheitert das ganze Vorhaben.

Sicher, wenn es um Anwenderakzeptanz geht, denkt jeder zunächst einmal an die Benutzerfreundlichkeit oder an die zweifellos unangenehme Anforderung, an seiner gewohnten Arbeitsweise etwas ändern zu müssen. Dies gilt selbst dann, wenn die Veränderung grundsätzlich positiv gesehen wird. Denn im Idealfall macht das neue System viele Aufgaben und ihre Erledigung tatsächlich einfacher, finden die Anwender sich auf der neuen Oberfläche viel leichter und besser zurecht als in den bisher genutzten Lösungen. Doch jedes Umlernen macht Mühe und es liegt in der Natur des Menschen, wo immer möglich den Weg des geringsten Widerstands zu wählen.

Ich mach mich doch nicht ersetzbar

Doch das sind nur die offensichtlichen Schwierigkeiten, die Menschen bei ERP-Projekten mitzunehmen, von Anfang an mit einzubeziehen und am Ende von den Vorteilen der neuen Lösung auch für die Anwender zu überzeugen. Viel subtiler und weniger greifbar sind hingegen Widerstände, die in einer Art verdeckter Verweigerungshaltung und einer dahinter stehenden Angst gründen. Und diese Angst ist nicht nur eingebildet, sondern hat durchaus einen realen Hintergrund. Denn moderne ERP-Systeme bilden einen Großteil des Prozess- und Fachwissens der Mitarbeiter in der Software ab. Das ist es ja gerade, was sie so gut, effizient und effektiv macht. Doch je mehr Wissen aus den Köpfen der Mitarbeiter in die Software wandert, umso ersetzbarer werden diese – zumindest auf den ersten Blick.

Hat sich erst einmal das Gefühl der eigenen Ersetzbarkeit bei ERP-Projekten in den Köpfen eingenistet, wird es schwer, den Gesamterfolg noch zu garantieren. Denn es droht eine Eigendynamik zu entstehen, die verhindert, dass Wissensträger die relevanten zwei, fünf oder zehn Prozent ihres Könnens preisgeben, um so die ERP-Software bestmöglich zu konfigurieren und individuell anzupassen und dadurch im Wettbewerb den vielleicht entscheidenden Unterschied zu machen. Diese Verweigerung kann aber auch nach Livestart der neuen Lösung weiterwirken, indem Mitarbeiter zum Beispiel das mitgelieferte Dokumentenmanagement nicht nutzen, um neues Wissen und neue Erfahrungen dem Gesamtunternehmen zur Verfügung zu stellen.

Von Japan lernen

Es ist kein Zufall, dass Wissensmanagement eine japanische „Erfindung“ aus den späten 1980er Jahren ist. Denn die sprichwörtliche Arbeitsplatzsicherheit im Land der aufgehenden Sonne sorgte dafür, dass Mitarbeiter keine Angst um ihre berufliche Zukunft haben mussten, wenn sie ihr komplettes Wissen weitergaben. Zwar haben sich die Zeiten seither wirklich grundlegend geändert, gibt es angesichts immer schärferer globaler Konkurrenz keine lebenslange Arbeitsplatzgarantie mehr. Dennoch können Unternehmen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz weiterhin von den Erkenntnissen der japanischen Forscher Takeuchi und Nonaka profitieren: Denn die Mitarbeiterbindung, gerade im Mittelstand, ist in Zentraleuropa immer noch ungleich höher als etwa in angelsächsischen Ländern – beste Voraussetzung also, das eben skizzierte Wissensmanagementproblem zu lösen.

Wissenskultur: fördern und aufwerten

Die Loyalität der eigenen Mitarbeiter ist ein wertvoller Vermögensgegenstand, der sich am meisten in einer gelebten Wissenskultur rentiert. Dazu müssen die Unternehmen einen Ausgleich finden zwischen der Prämierung rein individueller Leistung und solchen Beiträgen der Mitarbeiter, die auch den Kollegen und dem Gesamtunternehmen zugutekommen. Wer sein Wissen aktiv weitergibt, Kollegen bei der Lösung von Problemen aktiv unterstützt, seine Erfahrungen und neuen Erkenntnisse aktiv dokumentiert und teilt, sollte systematisch dafür belohnt werden. Das bedeutet nicht nur Anerkennung für die geleistete Arbeit, sondern schafft auch das gute Gefühl, gerade nicht ersetzbar zu sein, wenn man sein Wissen weitergibt. Wer verkauft schon sein bestes Pferd im Stall?

Eine solche intelligente Anreizstruktur fördert eine Wissenskultur im Unternehmen und führt zu einer positiven Eigendynamik von gegenseitigem Austausch, kollegialer Unterstützung und einem Voneinanderlernen, kurz: zum Aufbau einer Wissensorganisation. Finden ERP-Projekte in einer solchen Kultur statt, ist die Anwenderakzeptanz praktisch garantiert und wird der Nutzen der neuen Lösung auf Dauer ungleich größer sein.