Für international tätige Produktions- und Handelsunternehmen gehören Zölle zum Alltagsgeschäft. Importeure außerhalb der EU (Drittstaaten) zahlen Einfuhrgebühren zusätzlich zum Einkaufspreis. Dadurch werden die Produkte verteuert.

Um den internationalen Handel zu fördern und Wettbewerbsunterschiede auszugleichen, hat die EU mit vielen Drittstaaten Freihandelsabkommen geschlossen. Diese beinhalten sogenannte Präferenzregeln: für bestimmte Produkte gelten Ermäßigungen beim Zoll, bis hin zur zollfreien Einfuhr.

Um davon zu profitieren, müssen Verkäufer entsprechende Ursprungszeugnisse ausstellen. Die Basis des Ursprungszeugnisses bildet die Präferenzkalkulation, die die Ursprungseigenschaft des Produktes definiert. Für welche Waren gilt dies, wie funktioniert die Kalkulation und wie erleichtert ein ERP-System den aufwendigen Prozess? Dieser Artikel beantwortet Ihre Fragen.

Kurz erklärt: Was ist Präferenzkalkulation?

Mit der Präferenzkalkulation können Unternehmen berechnen, ob für ein Produkt beim Import in einen Drittstaat ein präferenzieller Ursprung gilt: ob niedrigere oder gar keine Zollgebühren bezahlt werden müssen.

Dafür müssen Sie als Anbieter genau belegen, dass die Produkte ihren Ursprung in der EU haben. Waren bestehen jedoch oftmals aus verschiedenen Teilen, die sowohl innerhalb als auch außerhalb der EU beschafft wurden. Die Abkommen regeln genau, wann ein solches Produkt als EU-Ursprungserzeugnis betrachtet werden darf. Mit der Formel zur Präferenzkalkulation lässt sich die Ursprungseigenschaft ermitteln.

Durch den Verzicht auf die Präferenzzölle nehmen Anbieter Wettbewerbsnachteile in Kauf.

Klicken und mit Ihren Kollegen teilen:

Warum und wann brauchen Unternehmen eine Präferenzkalkulation?

Die Präferenzkalkulation ist nicht gesetzlich vorgeschrieben. Unternehmen entscheiden selbst, ob sie die Vorteile der ermäßigten Zollsätze nutzen möchten. Wenn nicht, müssen deren Kunden (die Importeure) die zusätzlichen Zollgebühren bezahlen. Für diese kommt es letztlich nicht nur auf den Verkaufspreis der Ware an. Was zählt, sind die Gesamtkosten, inklusive Lieferkosten und Gebühren.

Durch den Verzicht auf die Präferenzzölle nehmen Anbieter Wettbewerbsnachteile in Kauf. Unternehmen, die die Vorteile nutzen, könnten dadurch günstigere Preise verlangen. Ebenso die lokalen Anbieter im jeweiligen Land – besonders in Niedriglohnländern, in denen lokale Produkte meist viel billiger sind.

Deshalb ist es im Interesse jedes Unternehmens, für Ausfuhrwaren eine Präferenzkalkulation durchzuführen. Oft werden Präferenzzölle in Lieferverträgen fest vereinbart; Kunden wollen schließlich nicht mehr bezahlen als nötig. In diesem Fall ist die Präferenzkalkulation natürlich Pflicht. Ansonsten könnte es als Vertragsbruch gelten.

In einigen Abkommen sind bestimmte Warengruppen komplett vom Zoll befreit. In diesem Fall wäre eine Kalkulation unnötig. Bei der Ausfuhr in Staaten, mit denen es keine Handelsabkommen gibt, ebenso. In der Datenbank Access2Markets können Sie prüfen, ob für Ihre Waren im Zielland Zölle anfallen.

Welche Waren sind präferenzberechtigt?

Waren müssen als Ursprungserzeugnisse der EU gelten, um präferenzberechtigt zu sein. Wann ist dies der Fall? Natürlich bei Produkten, die vollständig in der EU gewonnen und hergestellt werden. Pommes Frites, die in Deutschland aus deutschen Kartoffeln hergestellt werden, etwa. Das versteht jeder. 

Doch die meisten Produkte sind aus verschiedenen Materialien und Teilen gefertigt. Ein Auto etwa kann aus 10.000 Teilen und mehr bestehen. Die Vorprodukte für das Auto werden über mehrstufige, globale Lieferketten beschafft; viele davon stammen von außerhalb der EU. Wann erwirbt ein solches Produkt trotzdem die EU-Ursprungseigenschaft?

Die Präferenzregeln unterscheiden hierbei nach zwei Fällen: 

Bei verarbeiteten Produkten: Der Anteil der Bearbeitung oder Verarbeitung innerhalb der EU muss ausreichend hoch sein. Es reicht nicht, einen Computerchip aus Taiwan mit einem eigenen Logo zu bedrucken. Dadurch wird daraus kein EU-Ursprungsprodukt. Wird der Chip in einem Fahrzeug verbaut, kann das Auto trotzdem ein Ursprungserzeugnis sein.

Bei Warenzusammenstellungen: Der maßgebliche Anteil der Waren in einer Zusammenstellung (z. B. in einem Produkt-Set) muss aus Ursprungserzeugnissen bestehen

Bei den Betrachtungen ist nicht die Anzahl der Teile entscheidend, sondern der jeweilige Wert. Wie hoch die Anteile jeweils für die Präferenzberechtigung sein müssen, ist in den Abkommen mit den jeweiligen Drittstaaten individuell festgelegt: in den sogenannten Listenregeln.

Eine Auflistung der Präferenzregeln der EU und weitere Informationen finden Sie auf dem Auskunftsportal der Generalzolldirektion zum Warenursprungs- und Präfenzrecht der EU.

Wann muss ein Präferenznachweis geliefert werden?

Als Anbieter müssen Sie die Ursprungseigenschaft Ihrer Ausfuhrgüter gegenüber den Zollbehörden nachweisen. Für Warenlieferungen im Wert von über 6.000 EUR ist ein förmlicher Präferenznachweis vorgeschrieben: Dafür verwenden Sie das Formular „Warenverkehrsbescheinigung EUR.1“. 

Wenn der Wert der gelieferten Ursprungserzeugnisse geringer ist, reicht ein nicht-förmlicher Nachweis aus. Lieferanten können dann auf der Rechnung eine eigenverantwortliche Ursprungserklärung hinzufügen.

Die Zollbehörden der jeweiligen Länder prüfen in Stichproben, ob als Ursprungserzeugnisse deklarierte Waren tatsächlich die Anforderungen erfüllen. In diesem Fall müssen Sie detailliert belegen können, aus welchen Materialien und Teilen die Ware besteht und woher diese stammen. Dafür benötigt es Lieferantennachweise oder -erklärungen über den Ursprung der zugelieferten Waren.

text img Praeferenzkalkulation

Der Präferenzzollsatz gilt nur für Waren, deren Wertschöpfung zu einem festgelegten Anteil innerhalb der EU stattfindet.

Was passiert bei falschen Präferenzaussagen?

Durch falsch ausgestellte Nachweise entgehen den Staaten Zolleinnahmen; für eine Ware würde die Zollgebühr ermäßigt, obwohl die Anforderungen dafür nicht erfüllt wären. Deshalb können Falschaussagen als Steuerhinterziehung (oder ähnliche Tatbestände) verfolgt werden. Dies kann mit Geld- und Freiheitsstrafen geahndet werden.

Wie bereits erwähnt, kann die EU-Ursprungseigenschaft auch einzelvertraglich zwischen Anbieter und Kunde vereinbart werden. Bei einem Vertragsbruch könnte Ihr Kunde Sie auf Zahlung einer Vertragsstrafe verklagen, sowie auf Erstattung der höheren Zollgebühren und eventuelle Geldstrafen durch die Behörden.

Nicht zuletzt leidet das Vertrauensverhältnis zwischen den Geschäftspartnern, wenn vorsätzlich falsche Angaben gemacht werden. Der gute Ruf wird beschädigt und Kunden kaufen in Zukunft vielleicht lieber bei anderen, zuverlässigen Anbietern.

Wie funktioniert die Präferenzkalkulation?

Mit der Präferenzkalkulation ermitteln Sie, ob eine Ware die Mindestanforderungen an ein EU-Ursprungserzeugnis erfüllt: ob der Be- und Verarbeitungsgrad (oder die Wertschöpfung) ausreichend hoch ist.

Dafür werden folgende Zahlen ins Verhältnis gesetzt:

  • der summierte Einkaufspreis aller Vormaterialien und Bauteile ohne EU-Ursprungseigenschaft, die in einem Endprodukt verwendet werden,
  • der Ab-Werk-Verkaufspreis des Endprodukts.

Ein Beispiel: Ein Abkommen mit Land X regelt, dass für Ursprungserzeugnisse die Vorprodukte maximal 30 Prozent des Werts des Endproduktes ausmachen dürfen. Ein Maschinenbauer führt zwei separate Lieferungen ins Land X aus: eine Maschine und ein Ersatzteil.

LieferungEinkaufspreis der „Nicht-EU“-VorprodukteAb-Werk-Preis der Lieferung„Nicht-EU“-Anteil
Maschine20.000 EUR80.000 EUR25 %
Ersatzteil750 EUR1.500 EUR50 %

Daraus folgt: Die Maschine gilt als EU-Ursprungserzeugnis und ist präferenzberechtigt. Das Ersatzteil nicht.

Was ist das Worst Case Prinzip?

Der Wertanteil von Vorprodukten ohne Ursprungseigenschaft in einer Ware schwankt oftmals. Das kann  folgende Gründen haben:

  • die Einkaufspreise der Vorprodukte sowie die Verkaufspreise der Endprodukte schwanken,
  • Anbieter beschaffen Vorprodukte von wechselnden Lieferanten innerhalb und außerhalb der EU,
  • die genaue Zusammensetzung der Waren verändert sich, zum Beispiel bei Produktvarianten.

Anbieter müssten somit für jede einzelne Lieferung die Präferenzkalkulation durchführen. Das wäre zum einen sehr aufwendig. Zum anderen könnten dadurch keine langfristigen, verlässlichen Liefervereinbarungen getroffen werden.

Besser wäre, eine dauerhaft gültige Aussage zur Präferenzberechtigung einer Ware zu treffen. Mit einer Kalkulation nach dem Worst-Case-Prinzip („schlechtester anzunehmender Fall“) ist das möglich.

Bei schwankenden Einkaufs- und Verkaufspreisen können Sie daher mit folgenden Werten kalkulieren:

  • höchster Einkaufspreis für Vorprodukte ohne Ursprungseigenschaft,
  • niedrigster Einkaufspreis für Vorprodukte ohne Ursprungseigenschaft,
  • niedrigster Ab-Werk-Verkaufspreis für das Endprodukt.

Durch diese Art der Kalkulation wird der niedrigst vorkommende EU-Wertschöpfungsanteil für eine Ware errechnet. Er gilt dann für alle Lieferungen, auch wenn der Anteil im Einzelfall höher ist.

Dadurch kann es dazu kommen, dass bestimmte Lieferungen als nicht präferenzberechtigt deklariert werden, obwohl sie es eigentlich wären. Ihre Kunden würden durch die Zollgebühren höhere Gesamtpreise zahlen als nötig.

Demgegenüber steht der Vorteil der Planungssicherheit. Zusätzlich haben Sie als Anbieter einen geringeren Verwaltungsaufwand. Sie sparen Kosten und können günstigere Preise anbieten –  und so die eventuell höheren Zollgebühren bei Ihren Kunden ausgleichen.

Warum die Präferenzkalkulation ohne ERP-System so aufwendig ist

Die Präferenzkalkulation ist ein großer Verwaltungsakt. Die bisherigen Erklärungen geben nur einen groben Überblick: Das Thema ist ungeheuer umfangreich und kompliziert. Wenn Sie international verkaufen, führt jedoch kein Weg daran vorbei. Durch fehlende oder falsche Präferenzaussagen nehmen Sie Wettbewerbsnachteile in Kauf oder riskieren Strafen. 

Wie viel Aufwand Sie betreiben müssen, hängt wesentlich von Ihren Werkzeugen ab: Nutzen Sie ein modernes ERP-System? Oder machen Sie alles manuell, etwa mit Office-Programmen?

Alles manuell durchzuführen, ist mühsam und fehleranfällig. Für die Berechnung der Einkaufspreise müssen Stücklisten der verarbeiteten Teile mit Einzelpreisen und Informationen zum Ursprungsland gepflegt werden. Bei Produkten aus tausenden Einzelteilen wird eine solche Liste schnell unübersichtlich. Änderungen bei den Angaben müssen manuell nachgetragen werden.

Die Listenregeln sind für jedes Zielland verschieden. Um gültige Präferenzaussagen zu treffen, sind daher mehrere Berechnungslogiken nötig. Außerdem müssen Sie Lieferantennachweise für jedes Vorprodukt anfordern und speichern; abgelaufene Nachweise müssen aktualisiert werden. Dabei keine Fehler zu machen und nichts zu übersehen ist praktisch unmöglich.

So unterstützt ein ERP-System bei der Präferenzkalkulation

Mit moderner Software-Unterstützung erleichtern Sie sich den Prozess erheblich. Ein ERP-System bringt bereits serienmäßig Funktionen mit, die Sie bei der Präferenzkalkulation unterstützen. Wenn die Daten einmal korrekt gepflegt sind, ist jede Kalkulation nur noch eine Sache von wenigen Klicks.

In einem ERP-System werden ohnehin Stücklisten mit aktuellen Daten zu jedem Artikel hinterlegt: aus welchen und wie vielen Komponenten und Einzelteilen er besteht, woher sie bezogen werden und was sie kosten.

Für jedes Zielland wird einmal die Listenregel und die dafür nötige Berechnungsformel angelegt. Bei einem Angebot oder einem Liefervertrag müssen Sie also nur noch das Zielland und den Ab-Werk-Verkaufspreis eingeben. Das ERP führt die Kalkulation durch und zeigt an, welche Waren präferenzberechtigt sind. Sie müssen nichts mehr von Hand berechnen.

Die Lieferantennachweise verwalten Sie ebenfalls im ERP-System (Dokumentenmanagement). In der Stückliste sehen Sie zu jedem Teil, ob ein aktuelles Dokument vorliegt. Bei fehlenden oder abgelaufenen Nachweisen können Sie sich benachrichtigen lassen. Manche Systeme unterstützen auch bei der Kommunikation mit den Zulieferern: etwa mit Vorlagen für Nachrichten oder sogar automatisch versandten E-Mails. Bei einer Prüfung durch die Zollbehörde können Sie leicht alle nötigen Dokumente vorweisen. 

Planen Sie die Einführung eines ERP-Systems? Und gehört grenzüberschreitender Handel mit Drittstaaten zu Ihrem Kerngeschäft? In diesem Fall sollten Sie Funktionen für die Präferenzkalkulation unbedingt in Ihr Lastenheft aufnehmen. Das kostenlose Whitepaper „Der richtige Weg zum ERP-Lastenheft“ unterstützt Sie dabei, die ideale Grundlage für die ERP-Auswahl zu legen.