Wer derzeit ein ERP-System einführen will, steht vor einer Herausforderung. Das behördlich angeordnete Kontaktverbot verhindert physische Meetings, also muss alles virtuell stattfinden: Workshops, Absprachen, Schulungen, Installation, Konfiguration, technische Anpassungen, Systemtests etc. Das wirft natürlich Fragen auf: Ist es überhaupt möglich, ein ERP-Projekt ohne Präsenztermine umzusetzen? Und was gibt es dabei zu beachten?

Ein ERP-Projekt kann komplett Remote ablaufen

Grundsätzlich spricht nichts dagegen, ein ERP-Projekt Remote durchzuführen. Es gibt keine Aufgaben oder Prozessschritte, die einen Präsenztermin voraussetzen. Teile der ERP-Einführung werden sogar unter Normalbedingungen häufig per Fernarbeit abgewickelt.

Das betrifft zum Beispiel die Installation und die technische Konfiguration der Software. ERP-Anbieter stellen in der Regel keine Hardware zur Verfügung. Das übernimmt entweder der Kunde oder ein Dienstleister (z. B. ein Partner Hoster oder das Systemhaus des Kunden). Für die IT-Expertinnen und -Experten des Anbieters gibt es keinen Grund, vor Ort aufzuschlagen. Sie brauchen lediglich die Zugriffsdaten für den Server. Alle weiteren Schritte können sie per Fernzugriff erledigen.

Im Außendienst eines ERP-Anbieters sind in der Regel nur die Kolleginnen und Kollegen tätig, die den Kontakt zum Kunden halten: Sales, Projektmanagement und Beratung. Sie führen Workshops durch, stimmen sich mit dem Projektteam ab und schulen und beraten die Anwenderinnen und Anwender im Umgang mit der ERP-Lösung. All das sind in erster Linie Kommunikationsaufgaben, die sich auch per Web-Meeting durchführen lassen.

In einigen Bereichen ist eine Remote ERP-Einführung sogar effizienter. Online-Meetings erfordern beispielsweise keine Anreise. Das senkt die Kosten und erhöht die zeitliche Flexibilität. Bei langen Anfahrtswegen lohnen sich meistens nur Ganz- oder sogar Mehrtages-Workshops. Bei Online-Meetings sind dagegen auch kürzere Termine möglich, da auf Reisezeiten keine Rücksicht genommen werden muss. Es ist kein Problem, einen achtstündigen Termin in zwei vierstündige aufzuteilen. Das vereinfacht die Zeitplanung, denn kürzere Slots sind einfacher im Terminkalender des Projektteams unterzubringen.

Welche Hürden gibt es?

Eine ERP-Einführung ohne Präsenz-Meetings bringt allerdings auch Herausforderungen mit sich. Das gilt insbesondere für Unternehmen, die keine Home-Office-Regelungen haben und auf verteiltes Arbeiten nicht vorbereitet sind.

Eine große Hürde ist die technische Infrastruktur. Unter Remote-Arbeit verstehen viele Unternehmen, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einfach ihr Notebook mit nach Hause nehmen. Headsets, Webcams und Mikrofone stehen nicht immer zur Verfügung. Die verbaute Hardware des Notebooks muss ausreichen. Und auch im Büro fehlt das Equipment, um auswärtige Kolleginnen und Kollegen zu Meetings hinzuzuschalten. Häufig zwängen sich zwei oder mehr Personen vor ein Notebook und sprechen in die integrierte Webcam. Meetings mit solcher Hardware sind für alle Beteiligten frustrierend, da permanent Verständnisprobleme auftreten.

Wenn die ERP-Einführung Remote ablaufen soll, muss die Technik sitzen. Schlechte Mikrofone und billige Webcams sind keine gute Voraussetzung für achtstündige Online-Meetings.

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Auch auf sozialer Ebene können Probleme auftreten, denn Web-Meetings bieten wenig Raum für informelle Kommunikation. Präsenztermine enthalten mehrere Pausen, die sich für Smalltalk eignen. Kurze Gespräche an der Kaffeemaschine oder das gemeinsame Mittagessen tragen viel dazu bei, eine persönliche Verbindung zwischen Kunde und ERP-Anbieter aufzubauen. Bei Online-Meetings fallen diese sozialen Interaktionen jedoch weg.

Hinzu kommt, dass Web-Meetings oft aufgezeichnet werden. Unter Beobachtung ändert sich das Verhalten der meisten Menschen. Remote-Workshops wirken daher deutlich formaler und distanzierter. Es wird schwieriger, eine freundschaftliche Arbeitsatmosphäre aufzubauen.

Die Erfahrung zeigt, dass die meisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Web-Meetings anstrengend finden. Besonders, wenn die passende Hardware fehlt. Sprechende sind oft schwer zu verstehen, die Körpersprache der Gesprächspartner ist ohne Kameras nicht wahrnehmbar (ein wichtiges Element menschlicher Kommunikation) und es gibt keine visuellen Hilfsmittel wie Flipcharts. Solche Termine sind rein auditive Erlebnisse, die stundenlanges Zuhören erfordern. Entfernt man auch noch das auflockernde Gespräch in der Kaffeepause, wird klar, warum Online-Meetings anstrengender und oft auch unproduktiver als Präsenztermine sind.

Was muss ich beachten?

Remote-Arbeit beeinflusst lediglich die operative Ebene der ERP-Einführung, nicht ihren generellen Ablauf. Wenn Sie es schaffen, ihre internen und externen Kommunikationsstrukturen zu virtualisieren, steht dem erfolgreichen Abschluss Ihres ERP-Projekts nichts mehr im Weg. Gerade für Unternehmen, die wenig Erfahrung mit verteiltem Arbeiten haben, kann das jedoch eine Herausforderung sein. Daher haben wir ein paar Tipps für Sie zusammengestellt:

1. Schaffen Sie die technischen Voraussetzungen

Stellen Sie Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die passende Hardware zur Verfügung. Kolleginnen und Kollegen im Home Office benötigen ein Mikrofon und eine Kamera mit guter Aufnahmequalität. Hochwertige Notebooks haben oft brauchbare Komponenten verbaut. Bei günstigeren Geräten empfiehlt sich ein externes Headset.

Interne Meeting-Räume sollten mit einem Tischmikrofon und einem großen Monitor samt Kamera ausgestattet sein. Extern zugeschaltete Personen sehen dadurch ein Video des Konferenzraums statt eines Mosaiks aus Einzelbildern. Achten Sie auch hier auf die Bild- und Tonqualität. Aussetzer, Rauschen oder Rückkopplungen machen die Kommunikation auf Dauer anstrengend.

Beschränken Sie sich nicht nur auf die Hardware. Auch die Software ist wichtig. Günstigere Konferenz-Tools haben oft Limitierungen hinsichtlich Übertragungsqualität, Meeting-Dauer oder Teilnehmerzahl. Zudem ist ihr Funktionsumfang eingeschränkt. Professionelle Software-Lösungen sind meist leistungsfähiger und bieten zusätzliche Features wie Chats, Whiteboards oder Gesprächsnotizen.

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Gutes Equipment ist ein Muss für Konferenzschaltungen.

2. Stellen Sie Verhaltensregeln auf

Web-Meetings haben in den Augen mancher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine geringere Priorität als physische Meetings. Das kann negative Konsequenzen für den Termin haben. Um dem entgegenzuwirken, sollten Sie einige Verhaltensregeln aufstellen:

  • Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer müssen pünktlich sein und die Kamera sollte angeschaltet sein.
  • Wer es nicht einrichten kann, sollte rechtzeitig absagen.
  • Alle Anwesenden sollten sich in einer ruhigen Umgebung befinden (kein Telefonat vom Flughafen aus).
  • Hintergrundgeräusche sind zu vermeiden. Im Zweifelsfall das Mikrofon stummschalten.
  • Der eigene Desktop sollte aufgeräumt sein, falls es nötig wird, den Bildschirm zu teilen.
  • Keine Aufgaben nebenbei erledigen. Wer nur zuhört, während er etwas anderes tut, sollte stattdessen absagen.
  • Niemand sollte sich unbegründet ausklinken. Es gibt offizielle Pausen.

3. Stärken Sie die persönliche Kommunikation

Informelle Gespräche am Kuchentablett lassen sich nicht eins zu eins in eine virtuelle Umgebung übertragen. Dennoch sollten Sie Raum dafür geben, abseits der offiziellen Agenda etwas Smalltalk zu halten. Das stärkt die persönliche Beziehung zwischen Kunde und ERP-Anbieter und beugt späteren Konflikten vor.

Zwei Faktoren sind an dieser Stelle wichtig: visuelle Kommunikation und ein informeller Kontext. Um ersteres zu gewährleisten, sollten Sie Kameras vorschreiben und so oft wie möglich aktiv lassen. Für zweiteres bietet es sich an, die Aufzeichnung des Meetings von Zeit zu Zeit zu stoppen. Ohne das allsehende Auge im Rücken ist es einfacher, ein wenig zu plaudern.

Ein Beispiel: virtuelle Kaffeepausen. Die Aufzeichnung ruht, alle holen sich einen Kaffee und halten fünf bis zehn Minuten Smalltalk. Danach geht das Meeting weiter. Das mag unscheinbar klingen, aber solche Auflockerungen tragen dazu bei, ein Web-Meeting weniger anstrengend zu gestalten.

Zusammengefasst

Remote-Arbeit wirkt sich weniger stark auf die ERP-Einführung aus, als es zunächst den Anschein hat. Es gibt in einem ERP-Projekt keine Schritte, die einen Präsenztermin voraussetzen. Die technische Konfiguration kann der ERP-Anbieter per Fernzugriff erledigen. Meetings und Workshops sind auch per Konferenzschaltung möglich. Grundsätzlich spricht also nichts dagegen, ein ERP-Projekt Remote aufzuziehen.

Es gibt allerdings ein paar Dinge, die Sie beachten sollten. Zum einen muss die technische Infrastruktur stimmen. Online-Meetings im Geschäftsumfeld setzen professionelle Kommunikations-Hardware voraus. Zum anderen sollten Sie die soziale Ebene im Blick behalten. Steife und distanzierte Gespräche machen es schwer, eine persönliche Bindung zwischen Kunde und Anbieter aufzubauen. Das kann auf lange Sicht die Zusammenarbeit beeinträchtigen.

Eine ERP Einführung ist zwar eine neue Herausforderung, aber die Chancen überwiegen bei weitem. Kommen Sie gestärkt aus der Krise und nutzen Sie die Zeit zur Neustrukturierung Ihres Unternehmens. Denn so viel Zeit wie jetzt werden Ihre Key User in naher Zukunft nicht mehr haben.

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