Das Internet of Things (IoT) ist keine Zukunftsmusik mehr, sondern längst Realität. Wir alle können beispielsweise Wearables am Handgelenk tragen, die unsere Herzfrequenz an unser Smartphone übertragen. Per Internet können wir die Heizung in unserem Smart-Home fernsteuern oder punktgenau nachvollziehen, wo sich der Paketbote mit unserer Bestellung gerade befindet.

Doch verglichen mit industriellen IoT-Anwendungen sind das alles nur Spielereien. Das wahre Potenzial der IoT-Technologien steckt im Business-Bereich. Dort ermöglicht das Internet of Things dezentrale, modulare Strukturen, die ungeahnte Flexibilität mit sich bringen – eine Entwicklung, die auch an ERP-Systemen nicht spurlos vorüber geht.

Die Frage ist: Wie wirkt sich das Internet of Things genau auf die Funktion eines ERP-Systems im Unternehmen aus? Und welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang das Thema Big Data?

Produktionsunternehmen unterliegen hohem Veränderungsdruck

Schaffen wir zunächst etwas Kontext. Gerade für produzierende Unternehmen ist das Internet of Things nicht nur ein harmloser Spaß, um die Nachttischlampe per App fernzusteuern. Es ist vielmehr eine mögliche Antwort auf Herausforderungen, die Führungskräften schon lange Kopfschmerzen bereiten:

  • Wie gestalten wir unsere Organisation flexibler?
  • Wie sorgen wir für effizientere Prozesse?
  • Wie senken wir unsere Produktionskosten?

Der Wunsch nach Innovation ist hier nur selten Vater des Gedankens. Es ist vielmehr der Druck von außen, der Entscheider zum Nachdenken bringt. Der Markt verlangt ein immer höheres Maß an Flexibilität und Effizienz. Kunden wollen keine Standardangebote mehr, sondern individuell konfigurierbare Produkte.

Anbieter müssen also den Herausforderungen der Variantenfertigung begegnen. Um diesen Wunsch zu erfüllen, müssen Fertigungsunternehmen immer flexibler werden – und diesen Änderungsdruck geben sie natürlich auch an ihre Zulieferer weiter.

Das ERP-System der Zukunft ermöglicht es Unternehmen, den Überblick über ihr komplexes Netzwerk aus Maschinen, Sensoren und Daten-Pools zu behalten.

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Dezentrale Fertigung ist die Zukunft

Wie können Fertiger mit diesen neuen Anforderungen umgehen? Individuelle Angebote zu bezahlbaren Preisen laufen schließlich auf Serienfertigung mit Losgröße eins hinaus. Dies erfordert ein Maß an Flexibilität und Effizienz, das konventionelle Produktionsansätze schlicht und ergreifend nicht leisten können.

Eine Möglichkeit ist der Weg zur smarten Fabrik, in der automatisierte, dezentrale Fertigungsstationen drahtlos miteinander kommunizieren.

Nehmen wir zum Beispiel an, Sie bauen eine landwirtschaftliche Maschine, die gerade Ihre Produktionsstrecke durchläuft. Die Maschine trägt einen Chip, der den Fertigungsauftrag sowie die komplette Konfiguration enthält. Anhand der Informationen auf diesem Chip weiß die Maschine, welcher Produktionsschritt als nächstes ansteht und welche Daten sie dafür übermitteln muss. Die Lackiererei erhält somit von dem Auftragsstück die Information, welchen Lack sie verwenden soll.

Die Vorteile des Internet of Things

Der Vorteil dieses Ansatzes ist offensichtlich: Sie dezentralisieren Ihre Produktionsprozesse und verteilen die Komplexität des Gesamtsystems auf eine Vielzahl von Einzelkomponenten. Sie benötigen daher keine monolithische Software mehr, die alle Fertigungsaufträge zentral steuert und koordiniert. Stattdessen agiert Ihr System auf einer Need-to-Know-Basis: Jede Fertigungsstation erhält nur die Informationen, die das Auftragsstück ihr übermittelt. Die Komplexität eines einzelnen Auftrags wird durch die Kommunikation mehrerer Fertigungskomponenten erreicht.

Darüber hinaus bietet ein dezentrales Internet of Things noch weitere Vorteile. Ein Beispiel dafür ist Predictive Maintenance. Einmal verbunden, können Ihre Maschinen Belastungs- und Verschleißdaten miteinander austauschen und auswerten. So können Sie nicht nur vorhersehen, wann ein Gerät ausgetauscht werden muss, sondern auch welche Konfiguration am effizientesten läuft und welche Umgebungsfaktoren den Verschleiß beeinflussen.

ERP-System und Internet of Things – ein Widerspruch?

Dieser kleine Exkurs verdeutlicht eine Entwicklung, die großen Einfluss auf das ERP-System der Zukunft haben wird:

Sprechen wir vom Internet of Things, fällt im industriellen Kontext sehr schnell der Begriff Dezentralisierung. Der IoT-Ansatz basiert auf einer Vielzahl quasi-autonomer Maschinen, die über Schnittstellen kommunizieren und dadurch ein kollektives Gesamtsystem bilden. Dieser Ansatz steht in direktem Widerspruch zu der Idee hinter einer ERP-Lösung. Ein ERP-System ist als zentrale Schaltstelle gedacht, die Steuerung, Kontrolle und Koordination eines Unternehmens an einem einzigen Punkt vereint.

Die Frage ist: Wie verheiraten wir zwei Konzepte, die eigentlich Gegensätze bilden?

Wer behält in dezentralen Organisationen den Überblick?

Zunächst müssen wir uns bewusst machen, dass ein ERP-System nicht einfach nur Geschäftsprozesse steuert. Zu seinen Funktionen zählt auch, Business-Daten für den Anwender aufzubereiten. Dem liegt ein bidirektionaler Informationsaustausch zu Grunde. Einerseits sendet das ERP-System Steuerdaten an verschiedene Unternehmensbereiche (z. B. die Produktion). Andererseits erhält das System aber auch Daten aus dem gesamten Unternehmen und bündelt diese in einer zentralen Datenansicht.

Die Steuerungsfunktion verliert in einer dezentralen Organisation zunehmend an Bedeutung. Das Netzwerk steuert sich größtenteils selbstständig. Bei der Aufbereitung von Daten sieht die Sache schon anders aus.

In einer IoT-Architektur gibt es zunächst keine zentrale Stelle, an der alle Informationen zusammenlaufen. Jede Komponente steuert sich selbst und koordiniert ihre Aufgaben über Schnittstellen mit dem restlichen Netzwerk. Funktional gesehen hat dieser Ansatz zwar viele Vorteile. Allerdings macht er Entscheidern leider auch das Leben schwer.

Niemand hat mehr den Überblick über die Fertigung als Ganzes. Es gibt keinen zentralen Daten-Hub, der alle relevanten Geschäftsdaten bündelt. Wenn die Komplexität in der Fertigung ansteigt, weiß möglicherweise niemand mehr, was in der Werkshalle genau vor sich geht. Strukturelle Fehler und Warnungen gehen schnell im kontrollierten Chaos unter – und Kontrolle wird zunehmend schwieriger.

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Die Steuerungsfunktion verliert in einer dezentralen Organisation zunehmend an Bedeutung.

ERP-Systeme bleiben auch im Internet of Things relevant

Dem ERP-System der Zukunft fällt daher eine Aufgabe zu, die eine IoT-Architektur alleine nicht stemmen kann. ERP-Lösungen entwickeln sich vom Steuermodul zum Daten-Hub, der Entscheidern die Kontrolle und Analyse des Fertigungsbereichs ermöglicht.

Dies ist dringend notwendig. Denn die Datenmenge in automatisierten Fertigungs-Organisationen steigt permanent an (Stichwort Big Data). Mit jeder Maschine, jeder Komponente und jedem Sensor kommen mehr und mehr Daten hinzu – bis schließlich niemand mehr die Informationsflut bewältigen kann und sich das System jeder Analyse entzieht.

An dieser Stelle treffen wir allerdings auf die nächste Hürde: Denn im Kontext von Big Data stoßen ERP-Lösungen früher oder später an ihre Grenzen. Sie sind dafür konzipiert, eine überschaubare Menge qualitativ hochwertiger Daten zu verwalten. Umfangreiche, komplexe und volatile Datenströme in Echtzeit zu überwachen und zu analysieren, gehört nicht zu ihren klassischen Aufgaben.

ERP kann Big Data nicht alleine bewältigen

Bei Big Data geht es darum, große Mengen unstrukturierter oder semi-strukturierter Daten zu verarbeiten und zu analysieren. Dazu sind grundsätzlich auch viele ERP-Systeme in der Lage. Allerdings gibt es zwei Faktoren, die gegen ein ERP-System als Herzstück einer Big-Data-Umgebung sprechen.

  • Zu geringe Kapazitäten: Irgendwann kommt der Punkt, an dem die Performance der ERP-Lösung angesichts der großen Datenmengen in die Knie geht. Es kommt zu Slowdowns und das System wird zunehmend instabil. Diesen Punkt erreichen Big-Data-Projekte ziemlich schnell. Es ist schließlich ihr Sinn und Zweck, möglichst viele Daten einzusammeln und auszuwerten.
  • Unterschiedliche Zielsetzungen: Big-Data-Anwendungen werten Datenströme nicht bis ins kleinste Detail aus. Sie suchen nach Mustern und auffälligen Ereignissen. Die Qualität einzelner Datenpakete ist dabei nicht entscheidend, sondern das Big Picture. Diese Mustererkennung gehört zwar auch zu den Aufgaben einer ERP-Lösung, aber nicht im gleichen Ausmaß. ERP-Systeme verknüpfen Unternehmensdaten zu aussagekräftigen Kennzahlen. Dafür verwenden sie Algorithmen, die Daten qualitativ auswerten. Die gleichen Algorithmen im Kontext von Big Data zu verwenden, würde enorm viel Rechenleistung erfordern.

Ein ERP-System als Big-Data-Tool einzusetzen ist also keine Option. Das heißt aber nicht, dass ERP-Systeme künftig keine Rolle mehr spielen. Zwar können sie nicht den zentralen Datenkern einer Big-Data-Umgebung bilden. Jedoch bieten sie einen entscheidenden Mehrwert für die Datenanalyse: Kontext.

Ohne Kontext bringt Big Data keinen Mehrwert

Dedizierte Analyse-Tools für Big-Data-Töpfe eignen sich hervorragend dafür, Muster und Ereignisse in komplexen, umfangreichen Datenströmen zu erkennen. Aber sie können diese Daten nicht mit praktischen Anwendungsfällen verknüpfen. Die Interpretation erfolgt an anderer Stelle.

Nehmen wir zum Beispiel an, Ihr Unternehmen verfügt über einen großen Maschinenpark. Zusammen enthalten die Maschinen Tausende Sensoren, die permanent Umgebungs- und Betriebsdaten übermitteln. Reine Analyse-Tools sind in der Lage, den dadurch entstehenden Datenstrom auszuwerten und auf Muster zu scannen, die auf drohende Ausfälle hindeuten. Aber selbst im Falle eines Treffers kennt die Software nur die ID der betroffenen Maschine sowie das Störungsmuster.

Den verantwortlichen Mitarbeitern ist das erst einmal keine große Hilfe. Sie benötigen zusätzliche Informationen wie:

  • Bezeichnung und Typ der Maschine
  • Standort
  • Wartungsplan
  • Verfügbare Service-Techniker
  • Betroffene Produktionsaufträge

Solange Ereignisse im Datenstrom nicht mit Stamm- bzw. Auftragsdaten verknüpft sind, können Sie auch keine adäquate Reaktion ermitteln.

Big Data und ERP bilden eine Einheit

In Big-Data-Szenarien kommt in der Regel eine Kombination mehrerer Software-Systeme mit jeweils verschiedenen Aufgaben zum Einsatz. Das ERP-System ist dafür zuständig, Informationen anderer Tools in einen praktischen Kontext zu setzen.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass eine ERP-Software keine Rohdaten erhält. Überwachung und Analyse des Datenstroms erfolgen in anderen Systemen. Die ERP-Lösung erhält lediglich Informationen, die eine Reaktion bzw. Interpretation erfordern.

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Big-Data-Applikation, ERP-System und Anwender in Relation zueinander

Um das oben genannte Beispiel auszubauen: Die ERP-Lösung erhält nicht sämtliche Messdaten des Temperatursensors von Maschine A. Sie wird lediglich informiert, wenn die Temperatur in Kombination mit anderen Sensordaten signifikant von dem Muster abweicht, das identische Maschinen unter Normalbedingungen zeigen. In dem Fall ist es Aufgabe des ERP-Systems, die zuständigen Mitarbeiter mit allen weiteren Informationen zu versorgen:

  • Um welchen Maschinentyp handelt es sich?
  • Wo befindet sich Maschine A?
  • Welcher Service-Techniker ist dafür zuständig?
  • Welche Schritte sind notwendig, um weitere Probleme zu verhindern?

Erst, wenn diese Detailinformationen vorliegen, können die verantwortlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weitere Maßnahmen einleiten.

Big Data braucht die richtige IT-Infrastruktur

Unternehmen, die Big-Data-Modelle einsetzen wollen, sollten sich also von dem Gedanken lösen, alle Geschäftsprozesse über ihr ERP-System zu steuern. Es ist für solche Anwendungsfälle nicht geschaffen. Die Stärke einer ERP-Lösung liegt in der Qualifizierung von Daten, nicht in der Massenanalyse.

Stattdessen braucht es in Big-Data-Umgebungen eine Kombination mehrere Software-Systeme, die ausschließlich prozessrelevante Informationen austauschen. Das ERP-System erhält vorgefilterte Analysedaten, reichert diese mit Stammdaten an und leitet eventuell automatisierte Reaktionen ein. Der Datenaustausch ist zwar eingeschränkt, aber auch fokussiert. Und diese Reduktion auf das Wesentliche ist eine Stärke von ERP.

ERP-Systeme bleiben relevant

Das ERP-System der Zukunft nimmt im Unternehmen eine andere Rolle ein – weg vom zentralen Schaltpult und hin zum Informations-Cockpit. Es reduziert die enorme Komplexität vollautomatisierter Fertigungsumgebungen auf ein verständliches Maß, reichert Analysen mit nötigen Kontextinformationen an und lenkt den Blick Ihrer Mitarbeiter auf das Wesentliche. Die Steuerung Ihrer Fertigungsprozesse regeln Ihre Anlagen per Internet of Things selbst. Aber dank ERP-System behalten Sie trotzdem den Überblick.

Ein möglicher Anwendungsfall von Internet of Things und Big Data ist im Business-Umfeld die automatische Auswertung von Maschinendaten zu Wartungszwecken. Wenn Sie mehr über dieses Szenario wissen möchten, finden Sie unserem Whitepaper „Service als Start in die Industrie 4.0.“ alle wichtigen Informationen.