Die „gescheiterte ERP-Einführung“ ist eine Horrorgeschichte, vor der sich fast alle ERP-Entscheider fürchten. Kein Wunder, denn ein ERP-Projekt ist ein komplexes Unterfangen, das einen beachtlichen Teil der Unternehmensressourcen bindet. Schlägt es fehl, hat das unangenehme Konsequenzen für die Organisation – und auch für die Projektverantwortlichen.

Aber was heißt das für die Praxis? Sollte man der ERP-Einführung grundsätzlich aus dem Weg gehen, weil das Risiko zu hoch ist? Natürlich nicht. Den Kopf in den Sand zu stecken ist auch keine Lösung. Jedes Projekt kann fehlschlagen. Das liegt in der Natur der Sache. Aber ERP-Projekte geraten nicht einfach über Nacht in Schieflage. Wenn gravierende Probleme auftreten, dann nur aus einem Grund: Es sind Fehler passiert. Solche Fehler können Sie wiederum vorhersehen und vermeiden.

Damit Sie nicht in die gleiche Falle tappen wie viele ERP-Entscheider vor Ihnen, stellen wir in unserer zweiteiligen Blog-Miniserie die sechs häufigsten Fehler vor, die eine ERP-Einführung zum Scheitern bringen. Diese Woche beginnen wir mit den ersten drei:

Fehler 1: Das Lastenheft erhält nicht genügend Aufmerksamkeit

Ein gutes Lastenheft zu erstellen ist nicht ganz einfach. Dahinter steht nicht nur das Dokument selbst, sondern auch Analysen der eigenen Prozesse und umfangreiche Überlegungen zu der langfristigen Strategie der Organisation. Das Lastenheft ist das Ergebnis eines Prozesses, der die Grundlage für die ERP-Einführung legt. Und dieser vorbereitende Prozess kann bereits Dutzende Arbeitsstunden in Anspruch nehmen.

Manche Unternehmen kommen auf die Idee, diesen Aufwand einfach abzukürzen und das Lastenheft so knapp wie möglich zu verfassen. Ihrer Wahrnehmung nach ist das Lastenheft in erster Linie eine bürokratische Formalität. Je schneller sie diesen Schritt abhaken, desto eher können sie mit der eigentlichen ERP-Einführung beginnen. Schließlich will man heutzutage doch schnell und agil sein!

Auch wenn die Eigenentwicklung am Anfang reizt, unterliegt sie auf Dauer immer einer standardisierten ERP-Software.

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In der Realität sparen Sie mit einem abgekürzten Lastenheft aber keine Zeit. Im Gegenteil: Die ERP-Einführung dauert sogar deutlich länger, wenn Sie sich zu Beginn nicht die Zeit nehmen, alles gründlich durchzudenken. Die Fragen, die Sie überspringen, verschwinden nicht einfach. Sie tauchen nur zu einem anderen Zeitpunkt auf. Und das kann wiederum teuer werden. Im Lastenheft können Sie Fehleinschätzungen mit wenig Aufwand beheben, indem Sie den Text anpassen. Später sind solche Fehler deutlich kostspieliger, denn dann müssen Sie Arbeitsschritte wiederholen, die bereits abgeschlossen waren.

Machen Sie auch nicht den Fehler und treffen Annahmen wie „der Sonderfall sollte doch klar“ oder „der ERP-Anbieter wird schon wissen, was damit gemeint ist“. Damit projizieren Sie lediglich Ihre eigenen Interpretationen auf Ihren ERP-Partner. Und das führt wiederum zu kostspieligen Missverständnissen, die oft erst spät im ERP-Projekt auffallen.

Nehmen Sie sich lieber die Zeit und denken alles gründlich durch, bevor Sie in die Auswahl- und Implementierungsphase eintreten.

Fehler 2: Eigenentwicklung statt ERP-Standardsoftware

Keine ERP-Standardsoftware der Welt bildet die eigenen Anforderungen zu hundert Prozent ab. Es ist immer nötig, Kompromisse einzugehen und Geschäftsabläufe an das neue ERP-System anzupassen. Im Laufe der Jahre ist dieser zusätzliche Anpassungsaufwand zwar gesunken, da mittlerweile spezialisierte ERP-Lösungen für fast alle Branchen existieren, aber ein gewisses Maß an Customizing ist immer nötig.

Manche Unternehmen sparen sich diesen zusätzlichen Aufwand einfach, indem sie ihre IT-Ressourcen dafür verwenden, ein eigenes ERP-System zu entwickeln. Dieses ist natürlich perfekt an die Anforderungen der Organisation angepasst. Alle etablierten Prozesse können bestehen bleiben. Außerdem ist das Unternehmen nicht von einem ERP-Anbieter abhängig. Ist das nicht die perfekte Lösung?

Bevor Sie jetzt Ihre IT-Abteilung in Bewegung setzen, sollten Sie sich eins klarmachen: ERP-Systeme sind keine statischen Konstrukte. Sie entwickeln sich mit dem Unternehmen weiter. Wann immer sich Prozesse ändern, neue Technologien umgesetzt werden oder rechtliche Änderungen in Kraft treten, müssen Sie auch Ihre ERP-Lösung anpassen. Bei einer Standardsoftware übernimmt der ERP-Anbieter diese Aufgabe für Sie. Im Fall einer Individualentwicklung müssen Sie Ihre eigenen IT-Ressourcen dafür aufwenden. Und dieser begleitende Wartungs- und Pflegeaufwand kann mit der Zeit sehr teuer werden. Bedenken Sie also auch die laufenden Kosten, wenn Sie über eine Eigenentwicklung nachdenken.

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Es gibt viele Fallstricke bei der ERP-Einführung. Kontrollieren Sie deshalb regelmäßig Ihre Planung und den aktuellen Stand auf Vollständigkeit

Und auch die Unabhängigkeit von einem ERP-Entwickler ist zu kurz gedacht. Stattdessen sind Sie von Ihrer IT-Abteilung abhängig. Was passiert zum Beispiel, wenn Ihre Entwickler das Unternehmen verlassen? Hat Ihr einzigartiges ERP-System erst einmal eine bestimmte Komplexität erreicht, finden Sie kaum noch Personal, das notwendige Anpassungen vornehmen kann.

Diesen Punkt sollten Sie nicht unterschätzen. Es wird in Deutschland, Österreich und der Schweiz immer schwieriger, geeignete Software-Entwickler zu finden. Die Nachfrage ist enorm hoch und gerade Unternehmen im ländlichen Raum stoßen immer häufiger auf Personalengpässe. In einer solchen Situation sollten Sie sich nicht darauf verlassen, dass Ihre IT-Abteilung langfristig die Kapazitäten hat, um Ihre individuelle ERP-Lösung zu pflegen.

Fehler 3: Internen Aufwand des ERP-Projekts unterschätzt

Bei der Kalkulation der ERP-Einführung haben Entscheider oft nur die externen Kosten im Blick: Software-Lizenzen, Schulungen, neue Hardware – alles, wofür sie eine Rechnung erhalten. Dabei unterschätzen sie allerdings die internen Kosten. Und die machen leicht den Löwenanteil des Gesamtaufwands aus.

Entgegen der Erwartungen vieler Unternehmen haben die eigenen Mitarbeiter bei der ERP-Einführung keineswegs nur eine koordinierende Rolle. Projektleitung und Key-User arbeiten über den gesamten Projektzeitraum hinweg eng mit dem ERP-Anbieter zusammen und sind an allen Prozessen beteiligt. Sie unterstützen nicht nur die Prozessanalyse und die fachliche Konzeption, sondern schulen darüber hinaus auch ihre Kollegen im Umgang mit der ERP-Software. Und diese Aufgaben erledigt kein Mitarbeiter einfach so nebenbei. Im Durchschnitt wendet das Projektteam 50 bis 70 Prozent seiner Arbeitszeit für die ERP-Einführung auf und steht währenddessen dem Tagesgeschäft nicht zur Verfügung. Wenn Sie diese blockierten Kapazitäten nicht in Ihre Kalkulation mit einplanen, gerät Ihre Projektplanung schnell aus den Fugen.

Zwischenfazit

Wie Sie sehen, haben bereits sehr frühe Entscheidungen großen Einfluss auf den Erfolg der ERP-Einführung. Noch bevor Sie einen einzigen ERP-Anbieter kontaktieren, haben Sie bereits einige Weichen gestellt, die Ihr ERP-Projekt maßgeblich beeinflussen.

Daher lohnt es sich, wenn Sie sich noch vor Beginn der ERP-Einführung zwei grundlegende Ratschläge zu Herzen nehmen:

  • Unterschätzen Sie nicht den Aufwand der ERP-Einführung. Zu Beginn mag es attraktiv erscheinen, Ressourcen (wie Budget oder Personal) zurückzuhalten, damit das Tagesgeschäft nicht zu sehr leidet. Aber diese anfänglichen Sparmaßnahmen rächen sich immer auf lange Sicht.
  • Ein ERP-Projekt lässt sich nicht beschleunigen, indem man die Vorbereitung abkürzt. Im Gegenteil. Je gründlicher Ihre Vorüberlegungen sind, desto leichter fällt die spätere Implementierung.

Nächste Woche geht es weiter mit unserer Blog-Miniserie. Wie stellen drei weitere Fehler vor, die ein ERP-Projekt zum Scheitern bringen können. Wenn Sie nicht so lange warten möchten, können Sie sich in der Zwischenzeit unser Whitepaper „Die ERP-Einführung von A-Z“ zu Gemüte führen. Denn vielen Fehlern können Sie schon dadurch leicht aus dem Weg gehen, dass Sie genau wissen, was auf Sie zukommt.