Die „gescheiterte ERP-Einführung“ ist eine Horrorgeschichte, vor der sich fast alle ERP-Entscheider fürchten. Kein Wunder, denn ein ERP-Projekt ist ein komplexes Unterfangen, das einen beachtlichen Teil der Unternehmensressourcen bindet. Schlägt es fehl, hat das unangenehme Konsequenzen für die Organisation – und auch für die Projektverantwortlichen.

Aber was heißt das für die Praxis? Sollte man der ERP-Einführung grundsätzlich aus dem Weg gehen, weil das Risiko zu hoch ist? Natürlich nicht. Den Kopf in den Sand zu stecken ist auch keine Lösung. Jedes Projekt kann fehlschlagen. Das liegt in der Natur der Sache. Aber ERP-Projekte geraten nicht einfach über Nacht in Schieflage. Wenn gravierende Probleme auftreten, dann nur aus einem Grund: Es sind Fehler passiert. Solche Fehler können Sie wiederum vorhersehen und vermeiden.

Damit Sie nicht in die gleiche Falle tappen wie viele ERP-Entscheider vor Ihnen, stellen wir die sechs häufigsten Fehler vor, die eine ERP-Einführung zum Scheitern bringen.

Fehler 1: Das Lastenheft erhält nicht genügend Aufmerksamkeit

Ein gutes Lastenheft zu erstellen ist nicht ganz einfach. Dahinter steht nicht nur das Dokument selbst, sondern auch Analysen der eigenen Prozesse und umfangreiche Überlegungen zu der langfristigen Strategie der Organisation. Das Lastenheft ist das Ergebnis eines Prozesses, der die Grundlage für die ERP-Einführung legt. Und dieser vorbereitende Prozess kann bereits Dutzende Arbeitsstunden in Anspruch nehmen.

Manche Unternehmen kommen auf die Idee, diesen Aufwand einfach abzukürzen und das Lastenheft so knapp wie möglich zu verfassen. Ihrer Wahrnehmung nach ist das Lastenheft in erster Linie eine bürokratische Formalität. Je schneller sie diesen Schritt abhaken, desto eher können sie mit der eigentlichen ERP-Einführung beginnen. Schließlich will man heutzutage doch schnell und agil sein!

Auch wenn die Eigenentwicklung am Anfang reizt, unterliegt sie auf Dauer immer einer standardisierten ERP-Software.

In der Realität sparen Sie mit einem abgekürzten Lastenheft aber keine Zeit. Im Gegenteil: Die ERP-Einführung dauert sogar deutlich länger, wenn Sie sich zu Beginn nicht die Zeit nehmen, alles gründlich durchzudenken. Die Fragen, die Sie überspringen, verschwinden nicht einfach. Sie tauchen nur zu einem anderen Zeitpunkt auf. Und das kann wiederum teuer werden. Im Lastenheft können Sie Fehleinschätzungen mit wenig Aufwand beheben, indem Sie den Text anpassen. Später sind solche Fehler deutlich kostspieliger, denn dann müssen Sie Arbeitsschritte wiederholen, die bereits abgeschlossen waren.

Machen Sie auch nicht den Fehler und treffen Annahmen wie „der Sonderfall sollte doch klar“ oder „der ERP-Anbieter wird schon wissen, was damit gemeint ist“. Damit projizieren Sie lediglich Ihre eigenen Interpretationen auf Ihren ERP-Partner. Und das führt wiederum zu kostspieligen Missverständnissen, die oft erst spät im ERP-Projekt auffallen.

Nehmen Sie sich lieber die Zeit und denken alles gründlich durch, bevor Sie in die Auswahl- und Implementierungsphase eintreten.

Fehler 2: Eigenentwicklung statt ERP-Standardsoftware

Keine ERP-Standardsoftware der Welt bildet die eigenen Anforderungen zu hundert Prozent ab. Es ist immer nötig, Kompromisse einzugehen und Geschäftsabläufe an das neue ERP-System anzupassen. Im Laufe der Jahre ist dieser zusätzliche Anpassungsaufwand zwar gesunken, da mittlerweile spezialisierte ERP-Lösungen für fast alle Branchen existieren, aber ein gewisses Maß an Customizing ist immer nötig.

Manche Unternehmen sparen sich diesen zusätzlichen Aufwand einfach, indem sie ihre IT-Ressourcen dafür verwenden, ein eigenes ERP-System zu entwickeln. Dieses ist natürlich perfekt an die Anforderungen der Organisation angepasst. Alle etablierten Prozesse können bestehen bleiben. Außerdem ist das Unternehmen nicht von einem ERP-Anbieter abhängig. Ist das nicht die perfekte Lösung?

Bevor Sie jetzt Ihre IT-Abteilung in Bewegung setzen, sollten Sie sich eins klarmachen: ERP-Systeme sind keine statischen Konstrukte. Sie entwickeln sich mit dem Unternehmen weiter. Wann immer sich Prozesse ändern, neue Technologien umgesetzt werden oder rechtliche Änderungen in Kraft treten, müssen Sie auch Ihre ERP-Lösung anpassen. Bei einer Standardsoftware übernimmt der ERP-Anbieter diese Aufgabe für Sie. Im Fall einer Individualentwicklung müssen Sie Ihre eigenen IT-Ressourcen dafür aufwenden. Und dieser begleitende Wartungs- und Pflegeaufwand kann mit der Zeit sehr teuer werden. Bedenken Sie also auch die laufenden Kosten, wenn Sie über eine Eigenentwicklung nachdenken.

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Es gibt viele Fallstricke bei der ERP-Einführung. Kontrollieren Sie deshalb regelmäßig Ihre Planung und den aktuellen Stand auf Vollständigkeit.

Und auch die Unabhängigkeit von einem ERP-Entwickler ist zu kurz gedacht. Stattdessen sind Sie von Ihrer IT-Abteilung abhängig. Was passiert zum Beispiel, wenn Ihre Entwickler das Unternehmen verlassen? Hat Ihr einzigartiges ERP-System erst einmal eine bestimmte Komplexität erreicht, finden Sie kaum noch Personal, das notwendige Anpassungen vornehmen kann.

Diesen Punkt sollten Sie nicht unterschätzen. Es wird in Deutschland, Österreich und der Schweiz immer schwieriger, geeignete Software-Entwickler zu finden. Die Nachfrage ist enorm hoch und gerade Unternehmen im ländlichen Raum stoßen immer häufiger auf Personalengpässe. In einer solchen Situation sollten Sie sich nicht darauf verlassen, dass Ihre IT-Abteilung langfristig die Kapazitäten hat, um Ihre individuelle ERP-Lösung zu pflegen.

Fehler 3: Internen Aufwand des ERP-Projekts unterschätzt

Bei der Kalkulation der ERP-Einführung haben Entscheider oft nur die externen Kosten im Blick: Software-Lizenzen, Schulungen, neue Hardware – alles, wofür sie eine Rechnung erhalten. Dabei unterschätzen sie allerdings die internen Kosten. Und die machen leicht den Löwenanteil des Gesamtaufwands aus.

Entgegen der Erwartungen vieler Unternehmen haben die eigenen Mitarbeiter bei der ERP-Einführung keineswegs nur eine koordinierende Rolle. Projektleitung und Key-User arbeiten über den gesamten Projektzeitraum hinweg eng mit dem ERP-Anbieter zusammen und sind an allen Prozessen beteiligt. Sie unterstützen nicht nur die Prozessanalyse und die fachliche Konzeption, sondern schulen darüber hinaus auch ihre Kollegen im Umgang mit der ERP-Software. Und diese Aufgaben erledigt kein Mitarbeiter einfach so nebenbei. Im Durchschnitt wendet das Projektteam 50 bis 70 Prozent seiner Arbeitszeit für die ERP-Einführung auf und steht währenddessen dem Tagesgeschäft nicht zur Verfügung. Wenn Sie diese blockierten Kapazitäten nicht in Ihre Kalkulation mit einplanen, gerät Ihre Projektplanung schnell aus den Fugen.

Fehler 4: ERP-Einführung zum IT-Projekt erklärt

Es kommt vor, dass Unternehmen die komplette ERP-Einführung an die IT-Abteilung übertragen. Schließlich handelt es sich bei einer ERP-Lösung um eine Unternehmens-Software. Dadurch fällt sie in den Zuständigkeitsbereich der technischen Kollegen. Diese Vorgehensweise ergibt allerdings nur auf dem Papier Sinn. In der Praxis macht die technische Umsetzung nur einen sehr geringen Teil der ERP-Einführung aus. Die technische Einrichtung des ERP-Systems ist Aufgabe des Anbieters. Ihre IT ist hauptsächlich unterstützend tätig, um die Anbindung an die bestehende Infrastruktur zu gewährleisten.

Der eigentliche Fokus der ERP-Einführung liegt darin, das System mit allen Geschäftsabläufen zu verknüpfen. Wir haben es also mit einem Change-Management-Projekt zu tun, nicht mit einem IT-Projekt. Die Aufgabe besteht darin, die Anforderungen und Prozesse aller Abteilungen zu vereinen und das ERP-System entsprechend anzupassen. Dafür braucht es ein Auge für das Gesamtbild. Das Projekt-Team muss über den Tellerrand schauen können und ein detailliertes Verständnis für die Abläufe des gesamten Unternehmens haben.

Viele der Fehler sind das Resultat fehlender Voraussicht. Entscheider, die nicht genau wissen, was auf sie zukommt, können das ERP-Projekt auch nicht richtig planen.

Leider finden sich diese Eigenschaften nur selten in der IT-Abteilung. Der Grund liegt in einer Struktur, die wir in sehr vielen Unternehmen wiederfinden. Die IT-Abteilung steht oft abseits des Tagesgeschäfts. Ihre Aufgabe ist, dem restlichen Unternehmen die notwendige technische Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. In die tatsächlichen Abläufe der anderen Abteilungen hat die IT aber nur selten Einblick. Sie befasst sich mit der Technik und mit nichts anderem.

Das macht es wiederum so gefährlich, die ERP-Einführung komplett in die Hände der IT zu legen. In diesem Fall ist sie nämlich auch für Projektsteuerung und Koordination zuständig. Die IT-Kollegen müssen dafür sorgen, dass sich die Anforderungen sämtlicher Abteilungen im fertigen ERP-System wiederfinden – obwohl sie kaum Kontakt mit dem Rest des Unternehmens haben. In so einem Szenario sind Probleme praktisch vorprogrammiert.

Fehler 5: Falsches Projektteam ausgewählt

Die Wahl des ERP-Projektteams hat gravierende Auswirkungen auf den Erfolg der ERP-Einführung. Leider handelt es sich bei den perfekten Kandidaten für die Rolle der Projektleitung oder der Key User oft um Leistungsträger, die Entscheider nur ungern aus dem Tagesgeschäft herausziehen. Aus diesem Grund wählen viele Unternehmen nicht die geeignetsten Mitarbeiter für das ERP-Projektteam aus, sondern stellen einfach Kollegen ab, die gerade verfügbar sind – oder deren Tagesgeschäft nicht gestört wird, wenn sie andere Aufgaben übernehmen.

Betrachten wir zunächst die Key User. Auf den ersten Blick scheint es keinen Unterschied zu machen, wen Sie für diese Rolle auswählen. Die primäre Aufgabe der Key User besteht darin, die Perspektive ihrer Abteilung im ERP-Projekt zu vertreten. Das sollte doch jeder erfahrene Kollege hinbekommen.

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Oft unterschätzt: die Wahl des richtigen Projektteams.

Bedenken Sie aber: Die ERP-Einführung betrifft das ganze Unternehmen, nicht nur Teilbereiche. Das ERP-System bildet auch abteilungsübergreifende Prozesse ab. Und gerade bei den Schnittstellen zeigt sich der Unterschied zwischen guten und schlechten Key-User-Kandidaten. Gute Key User wissen genau, wie sich ihre Arbeit auf andere Abteilungen auswirkt. Sie können Prozesse auch dann nachvollziehen, wenn sie nicht mehr dafür zuständig sind. Schlechte Key User konzentrieren sich dagegen nur auf ihren eigenen Bereich. Und das führt im schlimmsten Fall zu ineffizienten bereichsübergreifenden Prozessen.

Noch größere Folgen hat die Wahl der falschen Projektleitung. Zu ihren Aufgaben gehören unter anderem Projektkoordination, Controlling und Reporting an die Geschäftsleitung. Für diese Position wollen Sie jemanden mit Führungskompetenzen. Kann sich die Projektleitung nicht durchsetzen, drohen Interessenskonflikte zu eskalieren und die ERP-Einführung gerät schnell außer Kontrolle. Trotzdem benötigt die Person in dieser Rolle auch Einfühlungsvermögen. Denn Konsensbildung ist ein wichtiger Faktor bei der ERP-Einführung. Fühlen sich Mitglieder des Projektteams übergangen, schalten sie vielleicht auf stur und verlieren die Motivation. Die Projektleitung muss also mit sanfter Hand führen, aber auch durchgreifen können.

Fehler 6: Geschäftsleitung steht nicht hinter der ERP-Einführung

In vielen Unternehmen ist die Geschäftsleitung nur zu Beginn an der ERP-Einführung beteiligt. Die Führungsetage entscheidet, dass die Organisation ein neues ERP-System benötigt, und überlässt Auswahl und Implementierung dem Projektteam. Sie erhält zwar regelmäßig Informationen über den Stand des Projekts, hält sich aber aus den Details heraus. Am Ende will die Geschäftsleitung Resultate sehen. Der Weg zum fertigen ERP-System ist ausschließlich Aufgabe des Projektteams.

Diese Einstellung führt jedoch unweigerlich zu Problemen. Denn fehlender Rückhalt der Geschäftsführung schwächt die Position der Projektleitung gegenüber ihrem Team. Kollegen stellen immer wieder ihre Entscheidungen in Frage und verzögern dadurch das Projekt. Besonders deutlich wird dieser Konflikt, wenn es um die Balance zwischen ERP-Projekt und Tagesgeschäft geht. Hat die Projektleitung nicht die Möglichkeit, Leistung einzufordern, hat das Tagesgeschäft im Zweifelsfall für viele Mitarbeiter Vorrang. Dem ERP-Projekt widmen sie sich nur noch, wenn sie gerade Zeit haben. Dass diese Einstellung zu Verzögerungen führt, liegt auf der Hand.

Damit so etwas nicht passiert, muss die Führungsebene der ERP-Projektleitung den Rücken freihalten. Machen Sie unmissverständlich klar, dass die Projektleitung das Vertrauen der Geschäftsführung genießt und mit ihrer Stimme spricht. Andernfalls provozieren Sie Konflikte im Projektteam.

Fazit

Auch mit optimaler Vorarbeit kann die ERP-Einführung noch ins Schleudern geraten. Gerade die Auswahl des ERP-Projektteams bietet viel Raum für Fehler. Besetzen Sie die Projektleitung oder die Key User mit Mitarbeitern, die sich nicht für diese Rollen eignen, kann das gravierende Folgen für das ERP-Projekt haben. Wählen Sie die Besten für diese wichtigen Positionen aus. Und erklären Sie die ERP-Einführung keinesfalls zur alleinigen Aufgabe der IT-Abteilung. Das ganze Unternehmen muss an einem Strang ziehen. Dann klappt auch die ERP-Einführung.

Viele der Fehler, die wir in diesem Beitrag behandelt haben, sind das Resultat fehlender Voraussicht. Entscheider, die nicht genau wissen, was auf sie zukommt, können das ERP-Projekt auch nicht adäquat planen. Wenn auch Sie sich in dieser Zwickmühle befinden, hilft Ihnen unser Whitepaper „Die ERP-Einführung von A-Z.“ sicher weiter. Es beschreibt den Ablauf der ERP-Einführung im Detail, von Anfang bis Ende.