Unsere ERP-Berater stoßen in Kundenprojekten immer wieder auf eine problematische Erwartungshaltung: Das “Rundum-Sorglos-Paket”. Manche Entscheider erwarten, dass sich das neue ERP-System passgenau an ihre bestehenden Prozesse anpasst. Nach der Einführung soll alles wie bisher laufen – nur besser.
In der Theorie ist es durchaus möglich, dass die Einführung eines ERP-Systems so abläuft. Aber das setzt voraus, dass die gewohnten Abläufe alle sinnvoll und zielführend sind – und das ist nur selten der Fall. In jedem Unternehmen gibt es festgefahrene Prozesse, die aus reiner Gewohnheit beibehalten werden. Ein neues ERP-System bietet Ihnen die einmalige Gelegenheit, die bestehende Prozessstruktur auf den Prüfstand zu stellen und zu entstauben. Aber seien Sie gewarnt: Solch ein Frühjahrsputz führt oft zum Widerstand Ihrer Mitarbeiter. Lassen Sie uns einmal darüber sprechen, wo dieser Gegenwind herrührt und was Sie dagegen tun können.
Alte Gewohnheiten können Prozessoptimierung behindern
In erster Linie möchte jeder Mitarbeiter die eigene Arbeit möglichst schnell und reibungslos erledigen. Dagegen ist auch nichts einzuwenden, schließlich profitiert das Unternehmen von dieser Einstellung. Aber manchmal kann dieser enge Fokus auf die eigene Tätigkeit zu Problemen führen – nämlich dann, wenn der eigene Trott Optimierungsmaßnahmen im Weg steht.
Lassen Sie mich dazu ein Beispiel geben. Vor Jahren ist mir im Rahmen eines Projekts ein Unternehmen begegnet, in dem ein mehrköpfiges Archivteam mit nichts anderem beschäftigt war, als fehlende Informationen für andere zusammenzusuchen. Dieses Vorgehen hat niemand in Frage gestellt – so lief das eben in diesem Unternehmen. Hätten aber die Kollegen aus den jeweiligen Abteilungen nur ein paar Minuten pro Tag in die Datenpflege investiert, hätten die Archivare sinnvoller beschäftigt werden können. Stattdessen war es deren Aufgabe, überflüssige Prozesse am Leben zu halten.
Solch eine Situation ist in der Regel nicht die Schuld einzelner Personen. Viele Faktoren können hier eine Rolle gespielt haben. Vielleicht handelte es sich um ehemals sinnvolle Prozesse, die ein Eigenleben entwickelt haben. Oder eine veraltete ERP-Lösung hat keine abteilungsübergreifende Sicht auf Unternehmensdaten zugelassen. Vermutlich kamen mehrere Faktoren zusammen. Trotzdem verstehe ich bis heute nicht: warum nutzte niemand die Gelegenheit, diese verstaubten Abläufe zu hinterfragen?
Prozessoptimierung kann zu Widerständen führen
Doch selbst wenn Sie optimierbare Prozesse identifiziert haben, heißt das noch lange nicht, dass alle Änderungen reibungslos gelingen. Oft fehlt die Veränderungsbereitschaft der Mitarbeiter. Sicher, aus Ihrer bereichsübergreifenden Perspektive mag das Zögern Ihrer Mannschaft frustrierend sein. Aber versetzen Sie sich einmal in die Lage Ihres Teams. Sie, als Vorgesetzter, wollen Prozesse anpacken, die jahrelang gut funktionierten. Für Ihre Mitarbeiter bedeutet das aber: sie müssen sich an neue Abläufe gewöhnen, obwohl das für sie keinen Vorteil bietet. Die Sachbearbeiter im oben beschriebenen Unternehmen haben zum Beispiel in Zukunft niemanden mehr, der ihnen fehlende Informationen beschafft. Aus ihrer Perspektive hat die Prozessoptimierung also negative Folgen.
Wichtig ist daher, dass Sie Widerstände Ihres Teams nicht einfach ignorieren, sondern aktiv daran arbeiten, Widerstände gegen die ERP-Einführung zu senken. Wenn Sie einfach die Chefkarte spielen und die Prozessoptimierung als Anweisung von oben durchsetzen, verstärken Sie den Widerstand nur.
Holen Sie Ihr Team für die Prozessoptimierung mit an Bord
In manchen Fällen setzt die Änderungsbereitschaft von selbst ein, wenn neue Mitarbeiter von außen zum Team hinzustoßen. Frischer Wind und ein Blick über den Tellerrand können dazu führen, dass Ihre Mitarbeiter die eigenen Prozesse von sich aus in Frage stellen. Wer jahrelang immer nur die gleichen Prozesse ausführt, der kann sich nun einmal schlecht vorstellen, dass es auch anders geht. Besonders die Perspektive der eigenen Kollegen kann auf diese Weise in die eigene Wahrnehmung rücken – denn schon kleine Veränderungen des eigenen Verhaltens können anderen Abteilungen viel Arbeit ersparen. Und ich profitiere wiederum von der Prozessoptimierung anderer.
Sie können sich jedoch leider nicht immer darauf verlassen, dass neue Mitarbeiter das Verhalten des ganzen Teams umkrempeln. Meistens ist es daher die Aufgabe von Geschäfts- und Projektleitung, alle Mitarbeiter mit an Bord zu holen und für Veränderungsbereitschaft zu sorgen. Den Vorgesetzten muss an dieser Stelle ein Spagat gelingen. Auf der einen Seite sollten sie klare Anweisungen geben, welche Prozesse unbedingt geändert werden müssen. Auf der anderen Seite gehört es aber auch zu ihren Aufgaben, klar zu kommunizieren, aus welchen Gründen diese Änderungen erfolgen und wie am Ende das ganze Unternehmen davon profitiert. Diese beiden Aufgaben zu vereinen ist nicht ganz einfach. Sie müssen Ihr Team mit sanfter Hand führen, dürfen aber die Zügel nicht zu locker lassen. Transparenz und klare Kommunikation sind hier der Schlüssel.
Ihr ERP-Partner kann Ihnen bei dieser Herausforderung mit passenden Schulungen zur Seite stehen. Das setzt jedoch ein ausgefeiltes Schulungskonzept voraus, das von Anfang an darauf ausgerichtet ist, den Mitarbeitern eine abteilungsübergreifende Sicht der Prozesse zu vermitteln. Denn nur wer versteht, warum, wozu und für wen er sich ändern soll, kann die Bereitschaft entwickeln, sich einen Ruck zu geben. Sprechen Sie den ERP-Anbieter frühzeitig auf diese Herausforderung an, wenn Sie Widerstände Ihrer Mitarbeiter erwarten.
Prozessoptimierung dient nicht dem Selbstzweck
Die ERP-Einführung ist eine perfekte Gelegenheit, um bestehende Unternehmensprozesse einmal sorgfältig zu prüfen und gegebenenfalls zu überarbeiten. Diese Chance sollten Sie nicht einfach verstreichen lassen. Aber verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Prozessoptimierung bedeutet nicht, die vorhandene Prozessstruktur komplett zu überarbeiten. Es geht darum, ineffiziente Prozesse zu identifizieren und zu verbessern – einwandfrei funktionierende Abläufe sollten Sie dagegen unangetastet lassen. Gehen Sie besonnen vor, aber schrecken Sie nicht davor zurück, Tabus zu brechen. Und vor allem: beziehen Sie Ihre Mitarbeiter in die Prozessoptimierung mit ein, statt einfach nur zu befehlen. Dann läuft auch dieser Teil Ihrer ERP-Einführung wie am Schnürchen.