Viele ERP-Entscheider tun sich mit einer Frage schwer: Wie kann es sein, dass eine ERP-Einführung schiefgeht? Schließlich handelt es sich bei einem ERP-System doch um die Software eines erfahrenen, etablierten Anbieters. Bugs oder fehlerhafte Funktionen sollten eigentlich nicht vorkommen Was ist also der wahre Grund?
Hinter dieser Frage steckt die Fehleinschätzung, dass es sich bei der ERP-Einführung um ein reines IT-Projekt handelt. Das ist jedoch nie der Fall. Die Technik spielt bei den meisten ERP-Projekten eine wichtige, aber i.d.R. unproblematische Rolle. Der wahre kritische Faktor ist nicht die Maschine, sondern der Mensch, der sie bedienen soll. Was also die ERP-Einführung wirklich gefährdet, sind Fehler bei Personalführung und Change Management.
Besonders kritisch ist der Bereich Anwenderakzeptanz – oder kurz gesagt: Was passiert, wenn Ihre Mitarbeiter das ERP-System ablehnen? Die Software ist schließlich nur ein Werkzeug. Für sich alleine erzeugt sie noch keinen Mehrwert. Wenn Ihre Mitarbeiter nicht mitziehen, ist daher der Erfolg der gesamten ERP-Einführung fraglich.
Befassen wir uns also mal im Detail mit dem Thema Anwenderakzeptanz – und wie Sie damit umgehen sollten.
Ihre Mitarbeiter fürchten sich davor, ersetzbar zu werden
Wenn Ihre Mitarbeiter ein ERP-System ablehnen, kann das viele Gründe haben. Vielleicht scheuen sie die Umstellung auf neue Prozesse oder sie kommen mit der Benutzeroberfläche der Software nicht zurecht. Dabei handelt es sich jedoch um relativ harmlose Faktoren. Ihre Mitarbeiter lehnen in diesem Fall nicht das ERP-System an sich ab. Sie kritisieren lediglich den Auswahl- und Einführungsprozess. Dem können Sie mit geschicktem Change Management entgegenwirken. Holen Sie so früh wie möglich alle Beteiligten mit an Bord! Sie werden feststellen, dass Ihr ERP-Projekt deutlich reibungsloser verläuft.
Sie dürfen auch nicht vergessen, dass die ERP-Einführung Aufgaben mit sich bringt, die nicht zum eigentlichen Tätigkeitsbereich Ihrer Mitarbeiter gehören. Es handelt es in den Augen vieler Mitarbeiter um Nebenaufgaben, die man macht, wenn man gerade Zeit hat. Die eigentliche Priorität gilt dem Tagesgeschäft. Als Resultat dieser Einstellung kommt es im Laufe der ERP-Einführung immer wieder zu Verzögerungen.
Allerdings basieren nicht alle Widerstände gegen die ERP-Einführung auf Bequemlichkeit oder Priorisierung. Oft blockieren Beschäftigte das ERP-System aus einem Grund, der noch viel tiefer liegt: Angst. Angst vor der eigenen Ersetzbarkeit, um genau zu sein. Ihre Mitarbeiter fürchten sich davor, den eigenen Job zu verlieren, weil das ERP-System ihre Position überflüssig macht.
Transparenz und Optimierung haben auch negative Seiten
Das bilden sich Ihre Mitarbeiter nicht einfach nur ein. Diese Angst hat durchaus einen realen Hintergrund. Moderne ERP-Systeme bilden einen Großteil des Prozess- und Fachwissens der Mitarbeiter innerhalb der Software ab. Das ist es ja gerade, was sie effizient und effektiv macht. Die ERP-Lösung standardisiert einen Großteil der Abläufe und speichert relevante Informationen in zentralen Datenbanken ab. Aus der Sicht des Unternehmens ist das durchaus positiv zu sehen.
Diese neu geschaffene Transparenz sorgt schließlich dafür, dass Entscheidungswege nachvollziehbar werden, weniger Ausfälle auftreten und Optimierungspotentiale sichtbar werden. Mitarbeiter nehmen aber genau diese Transparenz oft als Bedrohung wahr. Wenn der eigene Arbeitsplatz zunehmend standardisiert wird, kann der Arbeitgeber jederzeit jemand anderen auf dieser Position einsetzen. Das ERP-System führt also dazu, dass die Mitarbeiter ihre Position im Unternehmen gefährdet sehen. Sie haben Angst davor, das Ansehen ihrer Kollegen oder sogar ihren Job zu verlieren.
Darüber hinaus fördert die ERP-Einführung oft eine Perspektive, die Mitarbeiter ebenfalls kritisch sehen: Die reine Prozesssicht. Eine ERP-Lösung macht plötzlich Abläufe transparent, die vorher im Verborgenen blieben. Hinzu kommen Kennzahlen, die Entscheidern neue Arten von Analysen und Einsichten ermöglichen. Für die Geschäftsleitung mag das zwar Vorteile haben – schließlich kann sie die internen Prozesse nun deutlich effizienter und profitabler gestalten. Aber Ihre Angestellten denken bei dem Wort Optimierung nicht an ausgefeiltere Prozesse, sondern vielmehr an Personalabbau.
Wenn wir nun beide Faktoren zusammenfügen – sinkende Jobsicherheit durch Transparenz und Personalabbau dank eines kalten Optimierungswahns – ist es kein Wunder, dass viele Angestellte Angst vor dem neuen ERP-System haben. Sie fürchten sich einfach davor, ersetzbar zu werden. Und wenn sich dieses Gefühl der eigenen Ersetzbarkeit erst einmal in den Köpfen ihrer Mitarbeiter eingenistet hat, werden Sie es nur schwer wieder los.
Schaffen Sie eine Kultur des Informationsaustauschs
Genug der Schwarzmalerei. Was können Sie als ERP-Entscheider konkret tun, um die Akzeptanz bei Ihren Mitarbeitern zu steigern? Der grundlegende Ansatz ist einfach: Sie befassen sich gezielt mit den beiden Faktoren, die überhaupt erst Angst vor der eigenen Ersetzbarkeit hervorrufen – Transparenz und Optimierung.
Beginnen wir mit Transparenz. Wenn Ihre Mitarbeiter Angst davor haben, das eigene Wissen preiszugeben, dann spricht das bereits für eine fehlerhafte Unternehmenskultur. Wissen ist im Unternehmen zu einem Werkzeug geworden, das die eigene Position sichert. „Je mehr Informationen ich für mich behalte, desto mehr Macht habe ich im Unternehmen“ – so die Schlussfolgerung Ihrer Angestellten. Aber eigentlich sollte das Gegenteil der Fall sein: Wer sein Wissen aktiv weitergibt, Kollegen bei der Lösung von Problemen unterstützt, seine Erfahrungen und neuen Erkenntnisse aktiv dokumentiert und teilt, sollte systematisch dafür belohnt werden.
Solch eine Kultur des aktiven Wissensmanagements erhalten Sie aber nur, wenn Ihre Mitarbeiter die eigenen Erkenntnisse nicht als Druckmittel in unterschwelligen Machtkämpfen einsetzen. Das führt nämlich nur zu Verhaltensweisen, die dem Betriebsklima zu Gunsten der eigenen Position schaden. Alle behalten ihre Erkenntnisse und Erfahrungen lieber für sich, um sich unersetzbar zu machen. Schaffen Sie lieber eine offene Unternehmenskultur, in der es völlig normal ist, das eigene Wissen an Kollegen weiterzugeben. Dann kommt es auch nicht zu einem plötzlichen Anstieg an Transparenz, den manche Angestellte als bedrohlich empfinden. Stattdessen rücken die Vorteile dieser Offenheit in den Vordergrund: bessere Kommunikation mit den Kollegen und ein stabilerer Arbeitgeber.
Change Management statt „Flurfunk“
Nun zum zweiten Faktor: der Angst vor blinder Optimierung. Wenn Ihre Mitarbeiter bei dem Begriff „ERP-System“ sofort an Personalabbau denken, haben Sie vermutlich ein schlechtes Change Management betrieben. Vielleicht haben Sie Ihr Team nicht ausreichend über den Verlauf des ERP-Projekts informiert. Oder Sie haben die Anschaffung eines ERP-Systems als Anweisung von oben verkündet, ohne Ihre Mannschaft um Input zu bitten.
Was es auch war – Ihre Mitarbeiter haben das Informationsdefizit durch „Flurfunk“ behoben, wodurch sich negative Gerüchte verbreitet haben. Schließlich hat jeder schon mal Geschichten in seinem Freundes- oder Bekanntenkreis gehört, in denen Prozessoptimierung zu Entlassungen geführt hat. Das weckt natürlich Angst vor dem eigenen Jobverlust.
Damit sich solche Gerüchte gar nicht erst hochschaukeln können, sollten Sie von Anfang an darauf achten, das ganze Unternehmen an dem ERP-Projekt zu beteiligen. Informieren Sie Ihr Team, warum Sie ein ERP-System einführen, halten Sie alle über den Projektfortschritt auf dem Laufenden und sprechen Sie gezielt mögliche Befürchtungen an – denn eins dürfen Sie nicht vergessen: wenn Sie Ihre Mitarbeiter nicht in Kenntnis setzen, dann beschaffen diese sich ihre Informationen aus anderen Quellen.
Nehmen Sie Ängste Ihrer Mitarbeiter ernst
Manche Unternehmen machen den Fehler, interne Widerstände gegen die ERP-Einführung als negativ anzusehen. Allerdings stecken nur selten böse Absichten hinter solch einem Verhalten. Ihre Mitarbeiter haben einfach nur Angst davor, ihren Job zu verlieren. Nehmen Sie diese Ängste ernst und gehen Sie offen damit um. Denn wenn Sie den Widerstand aus der Belegschaft ignorieren, kann das durchaus den Erfolg Ihres ERP-Projekts gefährden.
Das beste Mittel gegen solche Widerstände ist offene Kommunikation. Gehen Sie auf Ihre Mitarbeiter zu. Erklären Sie, was Sie vorhaben, was das für das Unternehmen bedeutet und wie sich die Aufgaben Ihrer Angestellten durch das ERP-System zum Positiven verändern. Auch ganz wichtig: Schaffen Sie eine offene Unternehmenskultur, in der niemand Angst davor haben muss, das eigene Wissen zu teilen. Wenn Sie solch eine Kultur des Gesprächs und des Wissensaustauschs erschaffen, dann ist die Akzeptanz Ihrer Mitarbeiter für die ERP-Einführung praktisch garantiert.