Was ist die chaotische Lagerhaltung?

Die chaotische Lagerhaltung – auch dynamische Lagerhaltung oder Freiplatzsystem genannt – ist ein automatisiertes Verfahren, um Waren oder Teile im Lager effizient zu organisieren. Anders als bei der statischen Lagerhaltung ist der Lagerplatz für einen Artikel nicht fix vorgegeben. Stattdessen verteilt eine Software die eingehenden Produkte auf beliebige freie Plätze, die strategisch am günstigsten liegen. Die chaotische Lagerung eignet sich vor allem für größere Unternehmen, die ein häufig wechselndes Sortiment vertreiben.   

Wie funktioniert die chaotische Lagerhaltung?   

Bei der chaotischen Lagerhaltung bekommt ein Produkt oder Teil nach Ankunft im Lager den nächstbesten verfügbaren Regalplatz zugewiesen. Kriterien für die Platzvergabe können etwa die Artikelgröße oder die Umschlagshäufigkeit sein. Schnelldreher beispielsweise werden meist am Lagerausgang aufbewahrt, damit ihre Entnahme möglichst zügig und unkompliziert vonstatten geht.   

Da die Ware in der chaotischen Lagerhaltung an den zugeteilten Lagerort nicht gebunden ist, kann sie jederzeit an einen anderen Ort wechseln. Häufig erfolgt die Aufbewahrung eines Artikeltyps sogar an mehreren unterschiedlichen Lagerplätzen gleichzeitig. 

Beim Eingang der Ware weist ein Lagerverwaltungs- oder Warenwirtschaftssystem (LVS bzw. WWS) jedem Artikel automatisch einen unbelegten Lagerplatz zu. Darüber hinaus übernimmt es die zentrale Steuerung aller Warenbewegungen und speichert Informationen über

  • den exakten Standort eines eingelagerten Artikels,
  • die aktuelle Verfügbarkeit und den Bestand sowie
  • die Wegeoptimierung für die Ein- und Auslagerung.

Diese Informationen lassen sich bei Bedarf umgehend abrufen, sodass jederzeit eine schnelle und fehlerfreie Kommissionierung möglich ist.

Anders als der Name vermuten lässt, hat die chaotische Lagerhaltung also nichts mit Chaos und Unordnung zu tun. Vielmehr handelt es sich um eine hochstrukturierte und zugleich flexible Lagerstrategie, die softwaregestützt und automatisiert abläuft. Das Verfahren wird daher passenderweise auch als dynamische Lagerhaltung oder Freiplatzsystem bezeichnet. Dem gegenüber steht die statische Lagerhaltung (auch Festplatzsystem genannt), bei der sich ein Artikel langfristig an ein und demselben vordefinierten Lagerort befindet.

Die wichtigsten Merkmale der chaotischen Lagerung:

  • keine festen Lagerplätze
  • flexible, bedarfsorientierte Einlagerung
  • Softwareunterstützung durch ein LVS oder WWS
  • automatisierte Bestandsverwaltung
  • digitale Datenerfassung zur Identifikation von Waren

Wie läuft der Lagerprozess genau ab?

  1. Alle Artikel erhalten einen eindeutigen Identifikationscode, der beim Eintreffen im Lager gescannt wird.
  2. Das LVS oder WWS analysiert die verfügbaren Lagerplätze und sucht den optimalen Lagerort aus.
  3. Mitarbeitende oder automatisierte Förderfahrzeuge bringen die Ware zum vorgeschlagenen Regalplatz und verbuchen die Einlagerung im System.
  4. Das System aktualisiert den Bestand in Echtzeit, sodass jederzeit eine transparente Bestandsübersicht vorliegt.
  5. Sobald eine Bestellung eingeht, ruft das System die Lagerplätze der benötigten Artikel ab und zeigt den schnellsten Weg für die Kommissionierung auf.

Die Rolle leistungsstarker Technologien

Das chaotische Lager ist ohne eine stabile IT-Infrastruktur und eine hohe Datenqualität nicht umsetzbar. Das Verfahren kann nur dann funktionieren, wenn sämtliche Warenbewegungen in Echtzeit korrekt dokumentiert werden. Jeden einzelnen Scan, jede Buchung und jede Umlagerung muss das System präzise erfassen. Denn fehlerhafte oder fehlende Scans führen dazu, dass Artikel nur nach langem Suchen oder gar nicht mehr auffindbar sind. 

Leistungsfähige Hard- und Software ist daher das A und O für ein störungsfreies Freiplatzsystem. Unverzichtbare Tools sind:

  • ein leistungsstarkes Lagerverwaltungs- oder Warenwirtschaftssystem für die fehlerfreie Organisation des Lagerbestands und die Steuerung der Kommissionierung.
  • ein 
  • Barcode-Scanner, die jeden Artikel beim Wareneingang und -ausgang sowie bei der Einlagerung und Kommissionierung scannen.
  • RFID-Systeme, die als Alternative zu den Barcode-Scannern eine kontaktlose und damit besonders schnelle Identifikation von Waren ermöglichen.
  • Tablets und mobile Terminals, auf denen Mitarbeitende alle wichtigen Informationen zur optimalen Einlagerung und Kommissionierung erhalten. 
  • stabile Netzwerke, die eine permanent zuverlässige Synchronisation zwischen Lagerplätzen, LVS und ERP-System gewährleisten.

Darüber hinaus kommen zunehmend hochmoderne Technologien zum Einsatz, durch die intelligente, selbstoptimierende Lagersysteme entstehen:

  • IoT-Sensoren, die Daten zu Temperatur, Feuchtigkeit und Bestandsbewegungen liefern.
  • künstliche Intelligenz, die alle Warenströme kontinuierlich analysiert und verbessert.
  • fahrerlose Transportsysteme, die Artikel von A nach B befördern.
  • Roboterkommissionierung, mit der sich die Warenentnahme deutlich beschleunigt.

Wieso ist die Verzahnung mit einem ERP-System wichtig?

Eine ERP-Lösung ist in der chaotischen Lagerhaltung von zentraler Bedeutung, da es die Lagerprozesse mit den übergeordneten Unternehmensabläufen verbindet. Hat das Lagerverwaltungssystem eine Ein- oder Auslagerung erfasst, meldet es diese Information in Echtzeit an das ERP-System. Die ERP-Software aktualisiert automatisch den Gesamtbestand und gleicht diesen mit offenen Bestellungen oder Produktionsaufträgen ab. 

Indem das ERP-System für unternehmensweite Transparenz sorgt, befinden sich sämtliche Abteilungen auf dem aktuellen Stand. Der Einkauf beispielsweise sieht, dass ein Artikel wieder verfügbar ist. Die Buchhaltung wiederum kann die Daten für die Rechnungsstellung nutzen. Und die Produktion erhält Informationen darüber, welche Teile vorhanden sind.

Gleichzeitig unterstützt das ERP-System die strategische Planung. Es macht Bestandsentwicklungen sichtbar, warnt vor Engpässen oder Überbeständen und optimiert die Wiederbeschaffung. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass benötigte Waren oder Materialien rechtzeitig zur Verfügung stehen und Aufträge zuverlässig abgewickelt werden.

Chaotische Lagerhaltung: Vorteile

Optimale Flächennutzung

Da die Software im Freiplatzsystem Leerräume vermeidet, können Unternehmen auf derselben Lagerfläche deutlich mehr Waren unterbringen als bei der statischen Lagerhaltung.

Hohe Flexibilität

Neue Artikel lassen sich ohne vorherige Planung einlagern. Selbst ein kompletter Sortimentswechsel ist problemlos durchführbar. Das ist vor allem für Unternehmen von Vorteil, deren Sortiment großen Schwankungen unterliegt.

Schnelle Warenverfügbarkeit

Das System bringt die Artikel strategisch unter und kennt den exakten Standort eines jeden Objekts. Dadurch erhalten Mitarbeitende präzise Anweisungen und können Waren zügig einlagern und entnehmen.

Optimierte Wege

Artikel, die häufig zusammen bestellt werden, lagert die Software automatisch nah beieinander ein. Das reduziert Laufwege und steigert die Effizienz bei der Kommissionierung.

Fehlerreduktion

Durch die Nutzung von Softwaresystemen und Barcode-Scannern gibt es weniger manuelle Arbeitsschritte. Damit sinkt auch die Fehlerquote. 

VorteileNachteile
Optimale FlächennutzungHohe Abhängigkeit von IT-Systemen
Hohe FlexibilitätEingeschränkte manuelle Übersicht
Schnelle WarenverfügbarkeitHöhere Implementierungskosten
Optimierte WegeKomplexe Systemeinführung
FehlerreduktionNicht für alle Produkte geeignet

Chaotische Lagerhaltung: Nachteile

Hohe Abhängigkeit von IT-Systemen

Ohne eine zuverlässige IT-Landschaft funktioniert die dynamische Lagerhaltung nicht. Ein Systemausfall kann im schlimmsten Fall den gesamten Lagerbetrieb lahmlegen.

Eingeschränkte manuelle Übersicht

Ohne Systemunterstützung ist der Lagerbestand für Mitarbeitende kaum nachvollziehbar und wirkt tatsächlich chaotisch. Eine rein visuelle Orientierung ist nicht möglich.

Höhere Implementierungskosten

Die Einführung leistungsfähiger Soft- und Hardware ist mit Investitionen verbunden. Die Wartung des Systems verursacht zudem laufende Kosten.

Komplexe Systemeinführung

Die Umstellung von einer festen auf eine chaotische Lagerplatzvergabe erfordert eine sorgfältige Planung. Im laufenden Betrieb kann die Migration Störungen verursachen.

Nicht für alle Produkte geeignet

Sperrige Güter, Gefahrstoffe oder pharmazeutische Produkte erfordern spezielle Lagerbedingungen. Sie benötigen daher feste Lagerplätze oder eine Sonderlagerung. 

Chaotische Lagerung: Praxisbeispiele

E-Commerce

Große Onlinehändler verkaufen Millionen Artikel mit kurzen Lagerumschlagshäufigkeiten. Gleichzeitig müssen sie sehr kurze Lieferzeiten gewährleisten. Für diese Unternehmen ist die dynamische Lagerplatzvergabe die beste Lösung.

Das LVS sorgt nicht nur für eine rasche Einlagerung – es kann auch bestellte Produkte sekundenschnell lokalisieren und für den Versand bereitstellen. Zudem ist die Lagerfläche flexibel nutzbar, sodass der regelmäßige Austausch der Waren ohne aufwändige Umplanungen möglich ist. Die Onlinehandel-Giganten Amazon und Zalando zählen zu den bekanntesten Unternehmen, die auf eine chaotische Lagerhaltung setzen.

Produzierende Unternehmen

Auch in weitläufigen Lagern der Industrie spielt das Freiplatzsystem seine Stärken aus. Unternehmen mit einer großen Anzahl an Komponenten garantiert die dynamische Lagerplatzvergabe den umgehenden Zugriff auf benötigte Bauteile. Damit sind sie in der Lage, Aufträge zügig abzuwickeln und Kunden einen ausgezeichneten Service zu bieten.

Ein typisches Beispiel aus der Praxis ist ein Automobilhersteller wie BMW. In seinen Werken sorgt die chaotische Lagerung dafür, dass die Ersatzteilversorgung und Materialbereitstellung effizient organisiert ist und alle Komponenten just-in-time für die Produktion oder den After-Sales-Service zur Verfügung stehen. Damit wird BMW den hohen Anforderungen von Kunden und Werkstätten an eine schnelle Auftragsabwicklung und termintreue Lieferfähigkeit gerecht.

Logistikdienstleister

Nicht zuletzt unterstützt die dynamische Lagerhaltung Logistikzentren dabei, Lagerflächen optimal zu nutzen und die Liefergeschwindigkeit zu beschleunigen. Fulfillment-Center großer Dienstleister wie DHL oder UPS verwalten täglich Hunderttausende unterschiedliche Artikel – eine Herausforderung, die ohne Softwareunterstützung und hochautomatisierte Prozesse keinesfalls zu meistern wäre.

FAQ zu Chaotischer Lagerhaltung

Was ist der Unterschied zwischen statischer und chaotischer Lagerhaltung?

Bei der statischen Lagerhaltung erhält jeder Artikel einen fest zugewiesenen Lagerplatz, der sich niemals ändert. Bei der chaotischen Lagerhaltung hingegen werden Artikel softwarebasiert auf die nächstbesten leeren Regalplätze verteilt. Dadurch steigt die Flexibilität und Effizienz im Lager erheblich.

Für wen ist die chaotische Lagerhaltung sinnvoll?

Von der dynamischen Lagerhaltung profitieren größere Unternehmen mit einem großen Lager, einem breitgefächerten, häufig wechselnden Sortiment und automatisierten, softwaregestützten Lagerprozessen.

Für wen ist das chaotische Lager nicht sinnvoll?

Keinen Sinn macht das Freiplatzsystem für kleinere Unternehmen mit einem übersichtlichen Lager, einem geringen Lagerbestand, der sich nur selten ändert, und manuellen Lagerprozessen ohne leistungsstarke Software.

Welche Kosten entstehen bei der Einführung der chaotischen Lagerhaltung?

Die Einführung erfordert Investitionen in Lagerverwaltungssysteme sowie Hardware wie Scanner und Tablets. Darüber hinaus kann eine Anpassung der IT-Infrastruktur nötig sein. Hinzu kommen Schulungskosten für Mitarbeitende und Beratungskosten bei der Implementierung. Langfristig können Unternehmen diese Ausgaben jedoch durch effizientere Prozesse und eine bessere Flächennutzung kompensieren. Die tatsächlichen Kosten hängen stark von der Unternehmensgröße und Lagerkomplexität ab.

Lässt sich die chaotische Lagerhaltung mit FIFO und LIFO kombinieren?

Ja, die chaotische Lagerung ist problemlos mit FIFO (First In, First Out) und LIFO (Last In, First Out) kombinierbar. Das Lagerverwaltungssystem berücksichtigt diese Strategien bei der Lagerplatzvergabe und Kommissionierung. So kann beispielsweise bei verderblichen Waren automatisch die älteste Charge zuerst entnommen werden.