Der Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) verändert und erweitert die Funktionsweise und die Einsatzmöglichkeiten von ERP-Systemen immens. In Zukunft sind dadurch autonome ERP-Systeme möglich, die routinemäßige Unternehmensprozesse auf der Basis von KI eigenständig steuern.
Was ist Künstliche Intelligenz?
Künstliche Intelligenz bezeichnet ein Teilgebiet der Informatik, in dem es darum geht, intelligente Algorithmen zu etablieren. Im Wesentlichen werden diese auf eigenständiger Basis durch maschinelles Lernen (Machine Learning) oder Deep Learning Algorithmen weiterentwickelt. Der Branchenverband Bitkom definiert KI als die Eigenschaft von IT-Systemen, intelligente und menschenähnliche Verhaltensweisen zu zeigen.
Hierzu sind in jeweils unterschiedlichen Anteilen vier Kernfähigkeiten von Bedeutung:
- Wahrnehmen
- Verstehen
- Handeln
- Lernen
Die Systeme müssen in der Lage sein, Sachverhalte wahrzunehmen, zu verstehen und in Handlungen zu übertragen. Das Grundprinzip aller EDV-Systeme – Eingabe, Verarbeitung und Ausgabe – wird dabei durch die Komponenten Lernen und Verstehen erweitert. Hierdurch entwickeln und verbessern sich die Algorithmen, die einer KI zugrunde liegen, kontinuierlich selbst.
Grundsätzlich ist in diesem Kontext zwischen schwacher und starker KI zu unterscheiden. Eine schwache KI ist in der Lage, begrenzte Problemstellungen zu lösen und entsprechende Aufgaben auf weitgehend autonomer Basis zu erfüllen. Ihre Selbstoptimierung erfolgt mittels der Methoden, die ihr mitgegeben wurden. Hierfür müssen ihr keine konkreten Lösungswege mitgegeben werden. Alle heute existierenden KI fallen in diese Kategorie.
Eine starke KI wäre dagegen in der Lage, eigenständig neue logische Zusammenhänge zu erkennen und ihre methodische Basis eigenständig zu erweitern. Die KI-Forschung geht heute davon aus, dass es perspektivisch möglich ist, solche Systeme zu entwickeln. Diese wären der menschlichen Intelligenz vom Grundsatz her überlegen.
KI und ERP-Systeme – historische Entwicklung und aktueller Status quo
ERP-Systeme sind heute das Herzstück moderner Unternehmen. Im Idealfall integrieren sie alle Daten und Geschäftsprozesse auf einer gemeinsamen digitalen Plattform. Anwendungen aus dem Bereich der KI halten bereits seit einigen Jahren in verstärktem Maße Einzug in die ERP-Welt. Daraus resultieren grundsätzlich neue Nutzungsmöglichkeiten.
Die historische Entwicklung der ERP-Automatisierung lässt sich in bisher insgesamt fünf Evolutionsstufen beschreiben:
- Vor 1975 – kein ERP-System:
Mitarbeiter*innen führen alle Aufgaben manuell durch. - Ab Mitte der 1970er Jahre – Transaktionale ERP-Systeme:
In den Betrieben werden erstmals transaktionale ERP-Systeme eingeführt, Mitarbeiter*innen überblicken größere Zusammenhänge. - Bis heute Mainstream – Digitale ERP-Systeme:
Digitale ERP-Systeme werden eigenständiger und ermöglichen eine weiterführende Automatisierung von Geschäftsprozessen. Mitarbeiter*innen werden beispielsweise bei Medienbrüchen unterstützend tätig. - Ab 2020 – Intelligente ERP-Systeme:
Moderne ERP-Systeme etablieren erste intelligente Mechanismen, die einen höheren Automatisierungsgrad erlauben. Mitarbeiter*innen steuern End-to-End-Prozesse. - Perspektivisch ab ca. 2030 – Selbststeuernde ERP-Systeme:
Selbststeuernde ERP-Systeme, Mitarbeiter*innen üben Überwachungsfunktionen aus. Routineprozesse werden automatisiert - Bisher nicht datiert – Autonome ERP-Systeme:
Autonome ERP-Systeme auf der Grundlage starker KIs. Mitarbeitenden werden vollständig von Routineprozessen entlastet.
Eine Studie des Fraunhofer Instituts für Intelligente Analysesysteme (IAIS) und der Kompetenzplattform Künstliche Intelligenz Nordrheinwestfalen aus dem Jahr 2020, beschäftigt sich mit dem aktuellen Status quo der KI-Implementierung. Insgesamt sind 74 Unternehmen aus Industrie und Handel in dieser Studie enthalten. Als die aktuell größte Chance von KI-Funktionen in ERP-Systemen betrachten die Befragten die Automatisierung von Routineabläufen. Die hierdurch bewirkte Arbeitsentlastung soll die Datenqualität verbessern, die Vermeidung von Fehlern sowie Effizienz und Performance steigern.
„Als größte Risiken benennen sie Kontrollverlust und falsches Vertrauen in die Technik.“
Zentrale Anforderungen an KI-Funktionen bestehen in der Implementierung von Sprachsteuerungsfunktionen und voraussagenden Analysefunktionen. Beispielsweise sind theoretisch Prognosen der Absatzverläufe oder Abschlusswahrscheinlichkeiten im Vertrieb möglich. Entscheidende Erfolgsfaktoren für die Nutzung von KI-Funktionen sind demnach das Zusammenwirken zwischen Menschen und Technik, eine frühzeitige Einbindung der Anwender*innen sowie genügend Zeit für Schulungen und Einarbeitung.
Insgesamt reflektiert die Studie damit den Übergangsprozess zwischen digitalen und intelligenten ERP-Systemen. Autonome ERP Systeme spielen aus der Unternehmensperspektive aufgrund des aktuellen Standes der technologischen Entwicklung und den Erfahrungen bisher und in weiterer Zukunft keine Rolle.
Aktuelle Hindernisse für selbststeuernde und autonome ERP-Systeme auf der Basis von KI
Wesentliche Hindernisse für die Automatisierung der Unternehmenssteuerung durch selbststeuernde und autonome ERP-Systeme sehen momentan die Befragten der Studie in den folgenden Punkten:
- Small-Data-Problematik: In den Betrieben stehen keine oder nicht ausreichend Datenmengen für das Training von KI zur Verfügung. Insbesondere fehlt es an gelabelten Daten, die auf ein bestimmtes Ergebnis hinweisen. Dies ist jedoch die Voraussetzung dafür, dass ein Datennetz für die Arbeit der KI aufgebaut werden kann. Big Data wird im großen Stil voraussichtlich erst in ferner Zukunft in den Unternehmen verfügbar sein.
- Technische Hindernisse durch fehlende Schnittstellen, inkompatible Datenstrukturen und ungeeignete ERP-Systeme
- Mangel an Experten mit spezifischem IT-, Domänen- und Branchenwissen
- Fehlende Wirtschaftlichkeit durch den hohen Implementierungsaufwand
Autonome ERP-Systeme – bereits heute tendenziell möglich?
Tendenziell gilt, dass autonome ERP-Systeme bereits auf Level 3 des Evolutionsprozesses, zumindest in Teilbereichen, eine realistische und kurz- oder mittelfristig erreichbare Perspektive wären. Beispielsweise könnte die Bedienung der Systeme durch Sprachsteuerung immens vereinfacht werden. Den gleichen Effekt hätte eine hochgradige Personalisierung auf der Basis von KI-Funktionen.
Operative Prozesse könnten im Rahmen des End-to-end-Managements oder eines Life-Cycle-Managements komplett an die Systeme übertragen werden. Zudem wächst die Bedeutung von smarten und selbständigen ERP-Systemen zur Analyse und Ausgabe von Handlungsempfehlungen im Rahmen der Unternehmenssteuerung. Eine wesentliche Voraussetzung dafür wäre ein Ansatz zur Überwindung der Small-Data-Problematik.
Schwache KI – Künstliche Intelligenz, die bereits heute möglich ist
Diese Form der künstlichen Intelligenz kann vorher definierte Aufgaben meistern. Beispielsweise fällt darunter die Bilderkennung oder gesprochenes in Text umzuwandeln. Schwache KI besitzt jedoch nicht die Fähigkeit, über zu erfüllende Aufgaben hinauszudenken oder zu handeln. Die Algorithmen sind dafür trainiert, Daten zu klassifizieren.
Wo kommt schwache KI in ERP-Systemen zum Einsatz?
Schwache KI wird bereits in der prädiktiven Analytik verwendet. Dabei spielen vorhandene Daten, Algorithmen und maschinelles Lernen zusammen, um eine Vorhersage für ein mögliches bzw. wahrscheinliches Ergebnis zu treffen. Beispielsweise wird schwache KI in ERP-Systemen zur Lagerhaltung eingesetzt. Diese können notwendige Wartungen (Predictive Maintenance) oder Produktengpässe vorzeitig bestimmen und somit rechtzeitige Maßnahmen einleiten.
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- Wie kommt KI aktuell in ERP-Systeme zum Einsatz?
- Welche Potenziale bieten selbststeuernde und autonome ERP-Systeme aktuell und in naher Zukunft?
- In welchen Use Cases ist KI in verschiedenen Bereichen (Warenwirtschaft, Vertrieb, Service) bereits im Einsatz?