Die Usability einer Software hängt immer vom Nutzungskontext ab. Für die ERP-Auswahl ist dieser Umstand besonders relevant, da ERP-Anwender*innen keine homogene Gruppe bilden. Ihre Bedürfnisse unterscheiden sich gravierend voneinander, abhängig von ihrer Rolle. Ein*e Sachbearbeiter*in im Innendienst hat zum Beispiel andere Anforderungen als Service-Techniker*innen, die ständig unterwegs sind.

Ein einzelnes, allgemeines Nutzerprofil ist ungeeignet, um diese Komplexität abzubilden. Was Sie brauchen sind Benutzergruppen, die ERP-Anwendende mit ähnlichem Nutzungskontext zusammenfassen. Wie sich das in der Praxis gestaltet, lässt sich leider nicht pauschal sagen. Es gibt jedoch vier Gruppen, die besonders häufig auftreten:

Sachbearbeiter*innen

Diese Nutzergruppe verwendet das ERP-System im Rahmen ihrer regulären Bürotätigkeiten. Im Vergleich zu anderen Benutzergruppen arbeiten sie sehr intensiv mit der Software – bis zu acht Stunden pro Tag. Ihr Arbeitsumfeld besteht aus Büroräumen, in denen ein normales bis geringes Maß an Ablenkung zu erwarten ist (Telefonate, Gespräche mit Kolleg*innen etc.).

Für Sachbearbeiter*innen ist es wichtig, dass die ERP-Lösung alle Abläufe des Tagesgeschäfts detailliert abbildet. Flexibilität spielt nur eine untergeordnete Rolle, denn das Aufgabenprofil ist meist fest definiert und enthält viele Routineabläufe. Diese Abläufe müssen allerdings sitzen. Aufgrund der vielen Wiederholungen summieren sich selbst kleine Effizienzgewinne. Automatisierungsfunktionen sind daher ein Pluspunkt.

Sachbearbeiter*innen sind durchaus bereit, Zeit zu investieren, um sich mit der ERP-Lösung vertraut zu machen. Sie tauschen sich mit dem Team aus, kontaktieren den Support oder ziehen eine Knowledge Base zu Rate, wenn sie nicht weiterwissen. Je einfacher sie kleine Probleme selbst lösen können, desto zufriedener sind sie mit der Software.

Usability-Anforderungen von Sachbearbeiter*innen

  • Vollständige, detaillierte Abbildung aller für sie relevanten Arbeitsabläufe
  • Keine überflüssigen Arbeitsschritte
  • Effektive Unterstützung bei Routineaufgaben
  • Klar verständliche Fehlermeldungen

Ein einzelnes Nutzerprofil kann den komplexen Anforderungskatalog moderner Organisationen nicht abbilden. Den typischen ERP-User gibt es also gar nicht!

Führungspersonal

Zum Führungspersonal zählen sowohl das mittlere Management als auch die Geschäftsleitung. Beide verwenden das ERP-System hauptsächlich als Monitoring-Tool. Mobile Endgeräte spielen eine große Rolle, da diese Benutzergruppe auch unterwegs auf ERP-Daten zugreift.

Für die Führungsebene ist das ERP-System hauptsächlich eine Informationsquelle für Business-Entscheidungen. Details sind weniger relevant als das Big Picture. Allerdings haben Führungskräfte meist nur wenig Zeit. Umfangreiche Einstellungsmöglichkeiten spielen für sie keine Rolle. Die ERP-Lösung muss auf einen Blick alle wichtigen Kennzahlen liefern. Falls Fehler auftreten oder die Benutzeroberfläche nicht optimal konfiguriert ist, zieht das Führungspersonal umgehend die IT zu Rate.

Die Anforderungen dieser Benutzergruppe werden hauptsächlich durch individuell konfigurierbare Dashboards abgedeckt. Achten Sie also besonders auf diesen Funktionsbereich, um das Management zu unterstützen.

Usability-Anforderungen des Führungspersonals

  • Individuell konfigurierbare Dashboards
  • Übersichtliche Darstellung von Kennzahlen
  • Möglichst wenige Arbeitsschritte
  • Mobiler Zugriff auf ERP-Daten

Produktion

In der Produktion herrschen intensive Umgebungseinflüsse. Lärm ist ebenso ein Faktor wie hohe bzw. niedrige Temperaturen, Staub oder schlechte Luft. Am anderen Ende der Skala finden sich Werkhallen mit hohen Hygienevorschriften oder Reinräume. Produktionsmitarbeitende tragen oft Schutzkleidung, die den Umgang mit IT-Equipment erschwert (z. B. Arbeitshandschuhe). Teilweise verrichten sie ihre Aufgaben nicht stationär, sondern wechseln zwischen Fertigungsstationen.

Für eine ERP-Lösung hat das zwei Konsequenzen. Zum einen muss sie spezielle Hardware unterstützen, die in der Produktion zum Einsatz kommt: Barcode-Scanner, robuste Terminals, versiegelte Endgeräte, Touchscreens, die mit Handschuhen bedient werden können etc.

Zum anderen darf die Benutzeroberfläche nicht zu komplex sein. Die Produktion steht meist unter Zeitdruck. Zudem gehört es nicht zu ihren Kernaufgaben, das ERP-System zu bedienen. ERP ist ein begleitender Vorgang, der die eigentlichen Produktionsabläufe nicht behindern darf. Einfache Prozesse, verständliche Icons und simple User Interfaces sind ein Muss.

Hinzu kommt, dass auch ungelernte Fachkräfte oder Aushilfen mit der ERP-Lösung zurechtkommen müssen. Eine intuitive Benutzerführung, die keine umfangreichen Schulungen voraussetzt, ist daher ein Pluspunkt.

Usability-Anforderungen der Produktion

  • Intuitive Benutzerführung
  • Simple Prozesse mit wenigen Arbeitsschritten
  • Anwendung der Software ohne Schulung möglich
  • Gut lesbare Bildschirme in der Produktionsumgebung
  • Unterstützung verschiedener Hardware-Systeme

Außendienst

Mitarbeitende im Außendienst verwenden das ERP-System fast ausschließlich unterwegs, per Notebook oder Mobilgerät. Sie sind selten im Büro und können sich daher im Problemfall nicht persönlich mit Kolleg*innen austauschen. Beide Umstände haben großen Einfluss auf die Usability-Anforderungen dieser Benutzergruppe.

Im Außendienst ist ein ERP-System vor allem dazu da, Vertriebsgespräche bzw. Service-Einsätze vorzubereiten und zu dokumentieren. Für solche komplexen Abläufe sind Mobilgeräte aber nur bedingt geeignet. Einerseits sind ihre Bildschirme zu klein, andererseits sind Touchscreen-Tastaturen nicht für längere Texte wie Reportings konzipiert. Hinzu kommen ablenkende Umgebungsfaktoren (Gespräche im Zug etc.). Ein ERP-System für den Außendienst muss all diese Faktoren kompensieren und Arbeitsschritte möglichst effizient gestalten.

Der Außendienst arbeitet zudem weitestgehend isoliert von der restlichen Organisation. Treten Fehler auf, kann er nicht kurzfristig um Hilfe bitten. Das ERP-System sollte daher selbsterklärend und möglichst robust sein. Alle wichtigen Funktionen sind im Idealfall intuitiv gestaltet. Nutzer*innen müssen in allen Anwendungsszenarien mit der Software zurechtkommen, ohne Anleitungen oder Tutorials.

Darüber hinaus dürfen Fehler keine laufenden Prozesse blockieren. Kann ein Mobilgerät z. B. keine Verbindung zum ERP-Server herstellen, sollte es die Buchung zwischenspeichern und bei der nächsten Synchronisation nachtragen. Eine simple Meldung „Bitte probieren Sie es später noch einmal!“ erhöht lediglich den Arbeitsaufwand.

Usability Anforderungen des Außendienstes

  • Mobilanwendung verfügbar
  • Für kleine Bildschirme optimierte Benutzeroberfläche
  • Selbstklärende Funktionen
  • Klar verständliche Fehlermeldungen
  • Fehlerbehebungen ohne IT-Personal möglich

Zusammengefasst

Ein einzelnes Nutzerprofil kann den komplexen Anforderungskatalog moderner Organisationen nicht abbilden. Manche Anwender*innen wollen, dass Geschäftsprozesse möglichst detailliert abgebildet werden. Andere bevorzugen reduzierte Darstellungen, die weniger Aufwand verursachen. Und wieder andere interessieren sich nur für aussagekräftige Kennzahlen. Den typischen ERP-User gibt es also nicht.

Stattdessen sollten Sie Nutzer*innen mit ähnlichen Anforderungen in Gruppen zusammenfassen. Diese Segmentierung ist eine hervorragende Grundlage für die ERP-Auswahl. Achten Sie aber auf zwei Dinge:

  • Die Benutzergruppen sollten zusammen alle User umfassen.
  • Alle Benutzergruppen müssen bei der ERP-Auswahl Gehör finden.

Auf diese Weise stellen Sie sicher, dass Ihre neue ERP-Lösung alle Mitarbeitenden unterstützt und Widerstände gegen die ERP-Einführung gar nicht erst auftreten.

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