Im Anforderungskatalog für ERP-Systeme steht die Usability oft nur mit niedriger Priorität. Oder sie wird gleich komplett vergessen. Das ist ein Fehler. Denn komplizierte Software kann Ihr Unternehmen Unsummen an Produktivität und damit Geld kosten.
Es ist nicht ganz leicht, Usability als konkrete Anforderung zu formulieren und im ERP-Auswahlprozess zu evaluieren. In diesem Artikel erläutern wir, warum sich der genaue Blick lohnt und anhand welcher Kriterien Sie ein benutzerfreundliches ERP-System erkennen.
Definition: Was ist Usability?
Usability bedeutet auf Deutsch Benutzerfreundlichkeit. Es bezeichnet die Erfahrung, die Menschen bei der Interaktion mit einem System machen: etwa mit einer Computersoftware – wie einem ERP-System – oder mit einem Automaten.
Was unter guter Usability zu verstehen ist, wird in der Norm ISO 9241 „Ergonomie der Mensch-System-Interaktion“ definiert. Dort werden unter anderem folgende Kriterien genannt. Ein System sollte:
- für die bezweckte Aufgabe angemessen sein.
- selbstbeschreibende Rückmeldungen geben.
- die Erwartungen der Nutzenden erfüllen.
- leicht zu erlernen sein.
- leicht zu navigieren sein.
- richtig mit Benutzerfehlern umgehen.
- den Nutzenden positive Erlebnisse bieten.
Unterschied von Usability und User Experience (UX)
Usability und User Experience werden oftmals sinngleich verwendet. Das ist jedoch nicht korrekt. Die UX ist ein viel breiteres Konzept: Sie bezieht sich auf die gesamte Erfahrung von Benutzer*innen mit einem Produkt. Dazu gehören Aspekte wie Design, Markenimage oder Kundenservice. Usability bezieht sich rein auf die Erfahrung während der Nutzung oder Bedienung eines Systems.
Usability ist also nur ein Teilbereich der User-Experience, wenngleich ein wichtiger.
Der Nutzen: Warum ist die Usability bei ERP-Systemen entscheidend?
Eine Software muss benutzerfreundlich sein. Dem stimmt jeder zu. Trotzdem gibt es so viel komplizierte, anstrengende Software. Offenbar wird Usability in der Praxis weniger Wert beigemessen. Bei selten genutzter Software mag das noch hinnehmbar sein. Beim ERP-System keinesfalls. Warum?
- Das ERP-System wird in fast allen Abteilungen und von der Mehrheit der Mitarbeitenden verwendet, oft täglich. Schlechte Usability hätte also Auswirkungen auf Ihr gesamtes Unternehmen.
- ERP-Systeme sind an sich bereits sehr komplex und verwalten riesige Datenmengen. Mit schlechter Usability lässt sich ein solches System nicht effizient nutzen.
Wie wirkt es sich stattdessen positiv aus, wenn Sie ein ERP-System mit hervorragender Usability verwenden?
Hohe Akzeptanz und Zufriedenheit
Oft haben Mitarbeitende grundsätzliche Bedenken oder Ängste, wenn sie komplizierte Software verwenden sollen. Je leichter die Bedienung ist, desto eher akzeptieren sie ein neues ERP-System. Sie werden es regelmäßig nutzen. Durch die angenehmere Erfahrung bei der Arbeit wird die Zufriedenheit insgesamt steigen.
Auch interessant: Wie viel Veränderung durch ein ERP-System verkraftet Ihr Unternehmen?
Hohe Effizienz und Produktivität
Software kann Zeit sparen oder mehr Arbeit machen: etwa wenn für häufige Aufgaben jedes Mal zig Schritte notwendig sind, oder wenn man permanent nach Informationen suchen muss. Das kostet Effizienz. Die Mitarbeitenden werden weniger produktiv sein. Im Umkehrschluss können sie mit einem bedienerfreundlichen ERP-System mehr Aufgaben in weniger Zeit erledigen.
Ein anschauliches Beispiel dafür ist der neue Flow Mode im ERP APplus: Statt mit umfangreichen Masken und Tabellen arbeiten die Nutzer*innen mit Kanban-ähnlichen Boards. Wie das funktioniert und was es bringt, erfahren Sie in der Aufzeichnung des Webinars zum Flow Mode.
Niedrige Fehlerquote
Gute Usability reduziert die Wahrscheinlichkeit von Fehlern. Die Datenqualität im System steigt, wodurch die Ergebnisse besser werden. Dies wirkt sich zum Beispiel auf die Genauigkeit von Planungen oder die Kundenzufriedenheit aus. Folgekosten von Fehlern werden vermieden.
Größere Datenbasis
Prozessoptimierungen sind nur mit Datenanalysen möglich: je mehr Daten, desto besser. Wenn die Mitarbeitenden das ERP-System häufiger nutzen und Daten pflegen, baut ihr Unternehmen schneller eine größere Datenbasis auf.
Geringer Aufwand für Schulung und Einarbeitung
Wenn eine Software schwierig zu bedienen ist, benötigen Mitarbeitende viel Schulung und Übung, um sich daran zu gewöhnen. Schulungen sind bei einem ERP-System ein wichtiger Posten im Zuge der Einführung: je leichter und intuitiver die Bedienung, desto weniger Schulung ist erforderlich.
Daraus folgt: Sie haben weniger Aufwand und Kosten fürs Training. Die schulenden Mitarbeiter*innen, in der Regel die Key User, müssen weniger Zeit einsetzen. Die Anwender*innen selbst können das ERP-System schneller produktiv nutzen. Es wird weniger Anfragen beim Support geben.
Wenn neue Mitarbeitende ins Unternehmen kommen, müssen sie sich jeweils ins ERP-System einarbeiten. Auch sie tun sich leichter, wenn die Usability gut ist.
Vertretung von Mitarbeitenden möglich
Fällt jemand wegen Krankheit oder Urlaub aus oder verlässt kurzfristig das Unternehmen, muss eine Vertretung einspringen. Die vertretende Person hat eventuell mit den speziellen ERP-Funktionen noch nie gearbeitet. Bei einer intuitiven Software findet sie sich leicht zurecht und kann die Aufgaben spontan übernehmen. Dadurch werden Unternehmen flexibler und können Personalengpässe besser ausgleichen.
Kostenloses Whitepaper
Erfahren Sie, wo die typischen Usability-Schwachstellen von ERP-Systemen liegen und welche Fragen Sie deshalb im Auswahlprozess stellen müssen.
Auf welche konkreten Kriterien sollten Sie bei der ERP-Auswahl achten?
Wie bedienerfreundlich man eine Software findet, ist letztlich subjektiv: Fragen Sie etwa Windows- und Apple-Kunden. Doch es gibt bewährte Richtlinien, die auch ein ERP-System erfüllen sollte. Achten Sie im Auswahlprozess daher auf Aspekte wie diese:
- Werden bewährte Softwarestandards eingehalten, die die Nutzenden kennen: etwa Vor- und Zurück-Buttons und Navigationsleisten an gleicher Stelle wie bei Web-Browsern?
- Sind die Oberflächen einheitlich und konsistent: Sitzen wichtige Elemente immer an derselben Position und sind gleich gestaltet?
- Ist die Navigation leicht verständlich und übersichtlich?
- Sind alle wichtigen Bereiche mit möglichst wenigen Klicks erreichbar?
- Sind klare Abläufe in den Aufgaben ersichtlich: der Fortschritt sowie die vorherigen und nachfolgenden Arbeitsschritte?
- Sind alle Elemente selbsterklärend beschriftet?
- Gibt das System durch aussagekräftige Statusmeldungen Feedback, wie „wird geladen“ oder „ist gespeichert“?
- Werden Eingaben sofort auf Plausibilität geprüft?
- Gibt das System aussagekräftige Fehlermeldungen aus?
- Sind alle Texte leicht lesbar, groß genug und mit ausreichend Kontrast?
- Passen sich die Oberflächen an verschiedene Bildschirmgrößen und mobile Endgeräte an?
- Sind alle Elemente leicht bedienbar, auch per Touch auf Tablets und Smartphones?
- Wird der Blick auf den Hauptinhalt gelenkt? Oder ist der Bildschirm mit Informationen „vollgestopft“?
- Werden zusammengehörige Elemente visuell gruppiert?
- Werden physische Elemente realitätsgetreu abgebildet: etwa Layouts und Kopf- und Fußzeilen von Dokumenten?
- Ist das Design insgesamt modern und ästhetisch?
- Können die Oberflächen individuell angepasst werden?
- Können Rollen und Rechte für die Nutzenden definiert werden: Jeder sieht nur die Elemente, die er benötigt?
- Lassen sich alle Funktionen nur mit der Tastatur bedienen?
- Werden Eingabefelder sinnvoll mit Daten vorbelegt?
- Gibt es eine Hilfefunktion, die wirklich hilft?
- Gibt es Shortcuts (Tastenkombinationen) für geübte Nutzer?
Wenn ein ERP-System schon beim ersten Eindruck als angenehm, modern, schlank und übersichtlich erscheint, ist das kein Zufall.
Wer sollte bei der Evaluierung einbezogen werden?
Falls Sie eine UX-Fachperson im Unternehmen haben, hat deren Urteil bei der ERP-Softwareauswahl natürlich besonderes Gewicht. Doch weil Usability so subjektiv ist, sollten Sie Vertreter*innen aller beteiligten Gruppen einbeziehen.
Die Projektleitung muss hinter der Auswahlentscheidung stehen. Schließlich liegt es in ihrer Verantwortung, die Mitarbeitenden für das neue ERP-System zu begeistern. Sie sorgt dafür, dass Kriterien guter Usability schon als Anforderung im Lastenheft aufgenommen wird.
Die Key User sind mit den Abläufen in ihrem Fachbereich vertraut. Sie kennen die Anforderungen für einzelne Aufgaben und die Schwachstellen der bisherigen Prozesse. Daher können sie einschätzen, worauf es bei der Bedienung des ERP-Systems ankommt. Zudem übernehmen sie die Schulung der Kolleg*innen: Gute Usability wird diese Aufgabe erleichtern.
Nicht zuletzt sollen Sie die Meinung einiger Anwender*innen aus verschiedenen Abteilungen einholen: aus Controlling, Einkauf, Vertrieb, usw. Vielleicht eine Mischung aus älteren und jüngeren, geübten und weniger geübten im Umgang mit Software. Sie können verschiedene Perspektiven einbringen. Nicht zuletzt wird es zur allgemeinen Akzeptanz beitragen, wenn sich alle eingebunden fühlen.
Auch interessant: So schreiben Sie das perfekte ERP-Lastenheft
4 Fragen für einen Usability-Schnellcheck
Bei der gemeinsamen Evaluation der Usability können Sie nicht jeden Aspekt bei jeder Funktion im Detail überprüfen. Das ist auch nicht nötig. Oft führt bereits ein Bauchgefühl zum richtigen Urteil. Wenn ein ERP-System schon beim ersten Eindruck als angenehm, modern, schlank und übersichtlich erscheint, ist das kein Zufall. Offensichtlich legt der Anbieter Wert auf gute Usability: dass er dabei auch die Details richtig gemacht hat, ist wahrscheinlich.
Mit den folgenden vier Fragen können Sie einen Usability-Schnellcheck durchführen. Lassen Sie mehrere Personen einige Software-Oberflächen (in realistischer Größe und Auflösung) anschauen und spontan antworten:
- Erkennen sie sofort das wichtigste Element auf dem Bildschirm: den Hauptinhalt oder die zentrale Funktion?
- Erkennen sie sofort, was der nächste Schritt ist: was und wo sie eingeben, lesen oder klicken müssen?
- Erkennen sie die Bedeutung aller Icons?
- Und überhaupt: Können sie sich vorstellen, acht Stunden am Tag auf diese Software zu schauen?
Denn darum geht es letztlich: Ein ERP-System einzuführen, das die Mitarbeitenden auch noch nach Jahren gerne nutzen und das eine echte Hilfe im Arbeitsalltag ist.