Globalisierung ist längst nicht mehr nur das Schlagwort großer Konzerne. Auch mittelständische Unternehmen haben inzwischen die Vorteile der Internationalisierung für sich entdeckt. Davon versprechen sie sich in erster Linie neue Chancen: Zum Beispiel neue Absatzmärkte, sinkende Produktionskosten oder die Erschließung von zusätzlichen Arbeitskräften und Ressourcen.
Allerdings bringt Internationalisierung nicht nur Vorteile mit sich, sondern auch Risiken. Es kommen neue Herausforderungen auf Unternehmen zu, mit denen sie sich früher nie befassen mussten. Weltweit verteilte Organisationen sehen sich unter anderem mit höherem Koordinationsaufwand und steigender Komplexität des Reportings konfrontiert. Daher spielt das Thema Internationalisierung eine immer größere Rolle bei der ERP-Auswahl.
Automatisierte Intercompany-Kommunikation per ERP-System
International tätige Unternehmen mit mehreren Standorten haben oft mit komplexen Koordinationsprozessenzu kämpfen. Beispielsweise befinden sich Point of Sale und Produktlager nur selten am gleichen Ort – manchmal nicht einmal im gleichen Land. Die Kollegen können in solchen Fällen nicht jedes Mal zum Telefon greifen, wenn sie eine Bestellung durchgeben oder die Verfügbarkeit eines Produkts anfragen wollen. Diese Prozesse müssen in einem straff organisierten Unternehmen automatisch ablaufen.
Sind alle Standorte über ERP miteinander verbunden, können Sie viele Abläufe automatisieren. Im Beispiel oben weiß die Verkaufsfiliale immer, welches Produkt in welcher Stückzahl in welchem Lager verfügbar ist, denn alle Standorte greifen auf die gleiche Datenbasis zu. Der Vertrieb kann das gewünschte Produkt aus einem beliebigen Lager an eine vordefinierte Lieferadresse versenden.
Zum Problem können im Rahmen solcher Intercompany-Prozesse Wartungszeiten im Ausland werden. Ist das ERP-System des Lagerstandorts beispielsweise zu Wartungszwecken offline, kann es durchaus sein, dass die Inventarliste gerade nicht auf dem neuesten Stand ist. Die Lagerdaten können dann teilweise nicht mehr dem eigentlichen Ist-Zustand entsprechen. Das führt gerade bei größeren Bestellungen zu Problemen.
Eine Zentralinstallation in einem Rechenzentrum behebt dieses Problem. Hierbei sollten Sie aber beachten, dass wir auch heute nicht schneller als mit Lichtgeschwindigkeit arbeiten können. Somit führt es zu einer Latenz, wenn ein Australier in Sydney auf eine Antwort eines in Deutschland installierten Systems wartet. Minimaler Datentransfer und eine geschickte Systemarchitektur können solchen Latenzen jedoch entgegenwirken.
International verteilte Organisationen haben besondere Anforderungen an ein ERP-System. Das sollte schon bei der ERP-Auswahl zur Sprache kommen.
Ein Data Warehouse vereinfacht den internationalen Datenaustausch
Für international aufgestellte Unternehmen ergibt es oft Sinn, ein Data Warehouse einzurichten. In dieser zentralen Datenbank werden alle Daten mehrfach am Tag aktualisiert, ganz unabhängig von etwaigen Offline-Zeiten. Die darin konservierten Daten stehen dann allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zur Verfügung.
Der Vorteil an diesem Vorgehen ist, dass Data Warehouses sehr wartungsarm sind. Sie schaffen eine zuverlässige Datenbank, die praktisch immer verfügbar ist. Die Daten sind zwar nicht immer so aktuell wie die Werte im ERP-System (je nach Updatezyklus, normalerweise stündlich bis täglich). Allerdings haben Sie stets einen gesicherten Status aller Unternehmensdaten.
Zusätzlich haben Sie in einem Data Warehouse die Möglichkeit, Daten in eine normierte Form zu bringen (Währungen, Formate, etc.), sodass Listen immer vergleichbar unternehmensweit zur Verfügung stehen.
ERP-Systeme beseitigen sprachliche Barrieren
Sprachbarrieren sind eine klassische Herausforderung international tätiger Unternehmen. Für die persönliche, länderübergreifende Kommunikation mögen Sie zwar auf eine Lingua Franca (wie Englisch) zurückgreifen können. Aber nicht jeder Informationsaustausch läuft interpersonell ab. Sobald Automatismen ins Spiel kommen, steigt das Risiko für Missverständnisse.
Ein Unternehmen aus Frankreich kann zum Beispiel die Bestellung eines lokalen Kunden nicht ohne Übersetzung an ein Produktlager in Tschechien weiterleiten. Die dortigen Kollegen könnten zwar anhand der Artikelnummer das passende Produkt heraussuchen. Aber der gesamte Prozess würde deutlich länger dauern.
Ein ERP-System bietet dagegen die Möglichkeit, das gesamte User Interface in verschiedenen Sprachen anzuzeigen. Die Datensätze im System bleiben davon unberührt. Nur die Bezeichnungen ändern sich.
Im oben genannten Beispiel schickt die französische Niederlassung die Bestellung des Kunden per ERP-System nach Tschechien. Die Kollegen dort sehen die gleiche Bestellung, aber komplett in tschechischer Sprache. Die EPR-Software erkennt das Datenobjekt und passt sämtliche Bezeichnungen, Dokumente und Listen automatisch an. Dies bedeutet, dass nicht nur Oberflächen-, sondern auch Stammdatensätze in verschiedene Sprachen übersetzt werden können.
Empfehlenswert sind ERP-Systeme, die von Haus aus eine Übersetzungsfunktion mitbringen. Viele ERP-Lösungen bieten dafür einen eigenen Generator, der Textbausteine automatisch von einer Sprache in eine andere überträgt. Gerade bei längeren Texten sollten Sie sich darauf aber nicht verlassen: Denn im wirtschaftlichen Umfeld führen unpräzise Übersetzungen schnell zu Missverständnissen. Achten Sie daher darauf, dass Sie Übersetzungen im System auch manuell vornehmen können.
Ein ERP-System hilft dabei, Sprachbarrieren zu beseitigen.
Daten mit ERP-Unterstützung standardisieren
Eine ähnliche Herausforderung stellen die Währungseinheiten dar, die an Ihren jeweiligen Unternehmensstandorten gültig sind. Schließlich rechnen Ihre Kollegen im Ausland nicht in Euro, sondern in deren eigener Währung. Dadurch sind standortübergreifende Prozessanalysen oft kompliziert und zeitaufwendig.
ERP-Systeme rechnen monetäre Beträge automatisch in die jeweils geltende Währung um. So arbeiten alle Kollegen mit einem einheitlichen Datensatz. Missverständnisse und Komplikationen können Sie auf diesem Weg vermeiden.
Unterschiede bestehen an Ihren Standorten möglicherweise auch bei den Maßeinheiten. Ein Kubikmeter ist vielen Menschen in den USA z. B. nur ein vager Begriff. Auch hier kann ein ERP-System Abhilfe schaffen und numerische Werte automatisch in das präferierte System des Anwenders konvertieren.
Ein Beispiel für die Relevanz standardisierter Maßeinheiten: Europa und die USA verwenden unterschiedliche Längeneinheiten. In Europa ist das metrische System üblich, in den USA das angloamerikanische. Es kommt immer wieder zu Fällen, in denen eine falsche Umrechnung Schäden verursacht. Die NASA verlor 1999 beispielsweise eine Raumsonde, weil Hersteller und Bodenmannschaft von unterschiedlichen Einheitensystemen ausgegangen waren.
Daher ist es ratsam, solche Konvertierungen automatisch im ERP-System durchzuführen, ohne manuelle Arbeitsschritte.
Rechtliche Vorgaben im internationalen Geschäftsverkehr
Nicht zuletzt unterstützt Ihre ERP-Lösung Sie auch bei der Erfüllung rechtlicher Vorgaben und Pflichten, die im Ausland gelten. Nehmen wir als Beispiel China; einen Markt, der auch für Mittelständler immer attraktiver wird. Chinesische Regeln und Gesetze unterscheiden sich teilweise erheblich von dem, was wir in Deutschland gewohnt sind.
Mit dem Golden-Tax-System hat die chinesische Regierung beispielsweise ein eigenes System für die Verwaltung und Registrierung von Rechnungen entwickelt. Hierbei handelt es sich um eine offizielle Steuer-Software, die anfallende Steuern automatisch ermittelt und darauf aufbauend passende Rechnungen erstellt. In der Software werden dabei nicht nur Daten aus der Finanzbuchhaltung hinterlegt, sondern auch aus der Ressourcenplanung: Zum Beispiel die Anzahl von verkauften Artikeln sowie deren Einzelpreis und Artikelnummer.
Auch ausländische Unternehmen, die in China Geschäfte machen, sind zwingend an das Golden-Tax-System gebunden. Dabei kann Ihre ERP-Lösung eine erhebliche Entlastung für Ihr Unternehmen bedeuten. Sofern Ihr ERP-System über eine geeignete Schnittstelle zur Steuer-Software verfügt, laufen die Rechnungsprozesse automatisiert ab. Andernfalls müssen Sie den Rechnungsvorgang manuell durchführen – und das ist ein zeitintensiver Vorgang.
Was international tätige Unternehmen bei der ERP-Auswahl beachten sollten
Wenn Sie im Ausland aktiv sind (oder es in absehbarer Zukunft sein wollen), sollten Sie schon bei der ERP-Auswahl darauf achten, dass Ihr neues System Sie optimal bei der Internationalisierung unterstützt. Hier sind vier Tipps für die Systemauswahl:
1. UI und generierte Dokumente sollten mehrsprachig sein
Ein gutes ERP-System bietet Anwendern die Möglichkeit, das User Interface auf eine Sprache ihrer Wahl umzustellen. Mitarbeiter aus Spanien sehen beispielsweise alle Menüs auf Spanisch – egal ob sie in Deutschland, Italien oder Frankreich arbeiten. Der darunterliegende Datensatz bleibt dabei unberührt. Nur die Darstellung passt sich an.
Unternehmenssoftware immer in der eigenen Muttersprache bedienen zu können, verbessert die Usability deutlich. Aber das ist nicht der einzige Vorteil, den eine mehrsprachige ERP-Lösung mit sich bringt. Behalten Sie auch den Output der Software im Blick. Kann das System Listen, Dokumente und Rechnungen automatisch in verschiedenen Sprachen generieren? Denken Sie auch an Länder, die nicht ausschließlich lateinische Buchstaben verwenden (z. B. China, Russland oder Thailand). Wenn Ihre Datenbank keinen Unicode unterstützt, sind Dokumente in diesen Sprachen unlesbar.
2. Das ERP-System sollte rechtliche Anforderungen und Vorgaben des Ziellands erfüllen
Das Rechnungswesen ist mit Sicherheit ein wichtiger Bereich, wenn es um gesetzliche Vorgaben geht. Aber vergessen Sie nicht, dass auch alle anderen Unternehmensbereiche rechtlichen Anforderungen unterliegen – und die unterscheiden sich von Land zu Land.
Wussten Sie zum Beispiel, dass Arbeitnehmer in Italien ihren Urlaub stundenweise nehmen dürfen und nicht nur in ganzen Tagen? Kann Ihr ERP-System diesen Umstand abdecken? Wenn nicht, kommen Sie in die Bredouille, sobald der erste Kollege an ihrem italienischen Standort drei Stunden Urlaub haben möchte.
Auch hier steckt der Teufel im Detail. Schon simple Vorgaben, wie etwa der Aufbau einer Adresse, können Sachbearbeitern im Umgang mit der ERP-Software Kopfzerbrechen bereiten. Beispielsweise sind in manchen Ländern Kürzel für den jeweiligen Bundesstaat Teil einer Adresse. Enthält Ihr ERP-System Felder für diese Kürzel? Wenn nicht, wird die automatische Bearbeitung und Filterung von Adressen problematisch.
Stellen Sie also im Vorfeld sicher, dass Ihre ERP-Lösung all die organisatorischen Details der Länder abdeckt, in denen Sie agieren wollen.
3. Das ERP-System sollte Intercompany-Prozesse unterstützen
Zu den wichtigsten Funktionen einer ERP-Lösung gehört die Koordination unterschiedlicher Arbeitsabläufe. Das System soll alle relevanten Informationen zusammenführen, damit keine unnötigen Reibungsverluste zwischen einzelnen Arbeitsschritten auftreten. Diese Funktion wird natürlich ungleich komplizierter, wenn es darum geht, internationale Standorte oder Tochterunternehmen zu koordinieren.
Betrachten wir hierzu ein Beispiel: Ein Kunde aus Großbritannien bestellt ein Produkt in einem deutschen Online-Shop. Das Produkt selbst wird in Tschechien hergestellt und von einem britischen Lager aus versendet. Die Rechnungsstellung erfolgt wiederum aus Deutschland.
Wie geht Ihre Intercompany-Organisation mit so einem Prozess um? Wenn Ihre Niederlassungen eng miteinander verknüpft sind, kann Ihnen beispielsweise ein Multisite-System mit zentraler Datenhaltung einen Großteil der Arbeit abnehmen. Die einzelnen Standorte erhalten ihre Arbeitsaufträge in diesem Fall automatisch.
Haben Sie dagegen separate internationale Niederlassungen, die zwar zentral verwaltet werden, aber nur lose miteinander interagieren, brauchen Sie eine andere ERP-Infrastruktur. Das kann zum Beispiel ein ERP-System sein, das jedes Tochterunternehmen als Mandanten abbildet. Oder Sie setzen auf separate ERP-Installationen und tauschen Daten mit Hilfe von Exporten aus.
Eine Universallösung gibt es an dieser Stelle leider nicht. Passen Sie Ihre Infrastruktur an Ihre individuelle Situation an und wenden Sie sich im Zweifelsfall an einen ERP-Berater!
4. Wählen Sie einen ERP-Anbieter, der Sie vor Ort unterstützen kann
Viel zu oft beschränkt sich die Zusammenarbeit zwischen System-Anbieter, Implementierungspartner und Unternehmen auf den zentralen Standort. Die weltweiten Niederlassungen werden lediglich technisch angehängt. Dieses Vorgehen vernachlässigt aber einen Faktor, der für jede ERP-Einführung essenziell ist: den Menschen.
Nichts provoziert größeren Widerstand gegen ein ERP-System als eine „Entscheidung von oben“ – noch dazu getroffen von Entscheidern aus dem Ausland, die sich nicht mit den lokalen Gegebenheiten auskennen. Hängen Sie Ihre internationalen Standorte einfach nur an Ihre ERP-Lösung an, ist Ärger praktisch vorprogrammiert.
Achten Sie lieber darauf, einen ERP-Anbieter zu wählen, der auch die Kollegen in den einzelnen Niederlassungen vor Ort in lokaler Sprache betreuen kann. Bieten Sie einen Ansprechpartner für Fragen – einen Informationslieferanten direkt am Standort. Lassen Sie Ihre Mitarbeiter im Ausland nicht einfach außen vor.
Das betrifft nicht nur die Implementierungsphase, sondern auch den laufenden Support nach der Inbetriebnahme. Wir haben alle schon einmal mit Supportmitarbeitern zu tun gehabt, die in einer anderen Zeitzone sitzen und nur Englisch sprechen. Würden Sie nicht auch einen Ansprechpartner bevorzugen, der Ihnen sofort in Ihrer Landessprache antwortet? Das ist natürlich nicht immer möglich. Aber achten sie zumindest darauf, den Zeitunterschied zu minimieren.
Ein gutes ERP-System unterstützt Sie bei der Internationalisierung
Egal ob Sie bereits international tätig sind oder erst ins Ausland vordringen wollen – Ihr ERP-System spielt bei der Internationalisierung immer eine wichtige Rolle. Mit der passenden Konfiguration kann es Sie bei der Koordination der verschiedenen Standorte unterstützen und das Reporting vereinfachen.
Das falsche ERP-System kann jedoch Ihren Koordinationsaufwand erhöhen und aufwändige Workarounds nötig machen. Beziehen Sie Ihre Pläne für das internationale Geschäft daher schon bei der ERP-Auswahl mit ein. So setzen Sie schon früh die richtigen Weichen.
Strategische Fragen wie die Internationalisierung sollten im Idealfall bereits im ERP-Lastenheft Erwähnung finden. Was sonst noch alles in dieses Dokument gehört, können Sie in unserem Whitepaper „Der richtige Weg zum ERP-Lastenheft“ nachlesen.