Wenn Unternehmen expandieren, kommen häufig neue Standorte und Tochtergesellschaften im In- und Ausland hinzu. Schnell stellt sich dann die Frage, wie die IT-Infrastruktur den Zusammenschluss mehrerer Unternehmen möglichst effizient und flexibel abbilden kann.
Oberste Priorität hat hierbei die ERP-Konsolidierung. Denn ohne jegliche Anbindung an den Mutterkonzern kommt es zu Medienbrüchen, die den Datenfluss ins Stocken bringen und den Zugriff auf verlässliche Kennzahlen verhindern. Allerdings ist eine vollständige Zusammenführung nicht immer die beste Idee.
Welche ERP-Konsolidierungsstrategie die richtige für Sie ist und wie Sie diese im ERP-System technisch optimal abbilden können, erfahren Sie in diesem Artikel.
Welche ERP-Konsolidierungsstrategie ist die beste?
Vollständige ERP-Konsolidierung: Ideal, aber nicht immer machbar
In Konzernen ist es üblich, alle Unternehmen über ein großes, zentrales ERP-System zu verwalten. Eine vollständig konsolidierte ERP-Landschaft ist dabei der Idealzustand jeder Unternehmensgruppe, da sie:
- einen reibungslosen Datenaustausch ermöglicht,
- für einheitliche und optimierte Prozesse sorgt,
- den konzernweiten Informationsaustausch ohne Schnittstellen regelt,
- geringere Kosten für Wartung und Pflege des Systems verursacht,
- die IT im Support-Bereich entlastet,
- den Koordinationsaufwand senkt und
- die Unternehmensgruppe auf technischer Ebene leicht erweiterbar macht.

Allerdings ist eine vollständige ERP-Konsolidierung, die auf einer einzelnen unternehmensübergreifenden Softwarelösung basiert, nicht immer realistisch. Nur wenige Unternehmensgruppen sind so homogen, dass sie mit nur einem ERP die gesamte Konzernstruktur perfekt abbilden können.
In der Regel gibt es Teilorganisationen, deren Anforderungen deutlich von denen des restlichen Konzerns abweichen. Vor allem international tätige Unternehmen haben häufig mit komplexen Koordinationsprozessen zu kämpfen.
Viele Tochterunternehmen stellen beispielsweise unterschiedliche Anforderungen an:
- branchenspezifische Prozesse,
- Funktionsumfang,
- Anpassungsmöglichkeiten,
- Nischenfunktionen,
- Sprachen,
- Währungen und
- gesetzliche Rahmenbedingungen.
Darüber hinaus sind große, konzernweite ERP-Systeme relativ träge. Sie sind dafür geschaffen, riesige Organisationen zu verwalten. Das macht sie zwar robust, doch auf Marktänderungen können sie nur langsam reagieren. Folglich unterstützen sie schnelle Richtungswechsel nicht und mindern damit automatisch die Flexibilität und Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Unternehmensgruppe.
| Vorteile | Nachteile |
| reibungsloser Datenaustausch | unflexibel und schwer anpassbar |
| geringerer Zeit- und Kostenaufwand | zu träge in einem dynamischen Markt |
| technisch einfaches Hinzufügen weiterer Unternehmen | Bedürfnisse von Teilorganisationen bleiben unbeachtet |
ERP-Teilkonsolidierung: Der realistische Mittelweg
Wir halten fest: Auf der einen Seite will Ihre Unternehmensgruppe eine möglichst einheitliche ERP-Infrastruktur, um den finanziellen Aufwand gering zu halten und von Synergieeffekten zu profitieren. Auf der anderen Seite jedoch kann ein ungeeignetes konzernweites ERP-System die Effizienz Ihres Unternehmens beeinträchtigen. Was also tun?
Ein alternativer Ansatz besteht darin, dass einzelne oder sogar alle Tochterunternehmen ihre eigene ERP-Lösung verwenden, dabei jedoch immer noch Daten mit dem Mutterkonzern und anderen Teilorganisationen austauschen. Auch ERP-Systeme mit einem abweichenden Funktionsumfang – zum Beispiel spezialisierte Branchenlösungen – sind kein Problem, solange die Anbindung an die Konzern-IT gewährleistet ist.
Die Vorteile der teilweisen ERP-Konsolidierung liegen auf der Hand:
- Während die Anpassung eines konzernweiten ERP-Systems nicht so einfach möglich ist, lässt sich die Nischenlösung eines mittelständischen Unternehmens mit relativ wenig Aufwand umkonfigurieren.
- Dadurch rücken die Bedürfnisse der Tochterunternehmen in den Vordergrund, da diese schneller und flexibler auf Marktänderungen reagieren können.
- Die gesamte Unternehmensgruppe gewinnt an Zukunftssicherheit.

Allerdings bringt die Teilkonsolidierung auch Nachteile mit sich:
- Die Unternehmensgruppe nimmt in Kauf, dass ihre ERP-Landschaft teilweise segmentiert bleibt.
- Der Aufwand für die IT-Abteilung nimmt zu, da sie mehr Zeit für Wartung, Pflege und Software-Updates aufbringen muss.
- Durch den höheren Arbeitsaufwand steigen wiederum die Kosten.
- Die Transparenz der Unternehmensgruppe sinkt, da es kein Datennetz mehr gibt, das die Organisation lückenlos umspannt.
| Vorteile | Nachteile |
| sehr flexibel | ERP-Landschaft bleibt teilweise segmentiert |
| Anforderungen jeder Teilorganisation sind erfüllbar | der Arbeitsaufwand für die IT steigt – und damit die Kosten |
| Transparenz sinkt |
Welche ERP-Konsolidierungsstrategie sollten Sie wählen?
Wie die ideale ERP-Lösung für Ihre Unternehmensgruppe aussieht, hängt von deren Beschaffenheit ab. Die Größe Ihrer Organisation kann genauso Einfluss auf die Entscheidungsfindung haben wie die Standortverteilung und die Governance.
Elisabeth Sterlich-Janus, Asseco Solutions
Ziel jeder ERP-Konsolidierung ist die vollständige Vereinheitlichung der ERP-Landschaft. Manchmal ist es jedoch sinnvoll, von diesem Ziel abzuweichen, um einzelne Tochterunternehmen zu unterstützen.
Befassen Sie sich daher eindringlich mit beiden ERP-Konsolidierungsstrategien und wägen Sie ab, welche Vor- und Nachteile eine Voll- oder Teilkonsolidierung für Sie hat. Es kann durchaus Sinn ergeben, die ERP-Landschaft des Konzerns etwas weniger effizient zu gestalten, um einzelne Tochterunternehmen zu entlasten. Gerade ERP-Strukturen für internationale Unternehmensgruppen berücksichtigen meist die länderspezifischen Bedürfnisse der Teilorganisationen.
Wie ist die ERP-Strategie in Unternehmensgruppen technisch umsetzbar?
Wie schaffen Sie es nun, Ihre ERP-Konsolidierungsstrategie technisch so zu realisieren, dass Sie den größten Nutzen daraus ziehen? Vielleicht haben Sie schon mal die Schlagworte „mandantenfähig“ und „multisite“ gehört. Beide Begriffe sind wichtige Kriterien für verteilte Unternehmen, werden jedoch oft verwechselt oder falsch verwendet.
Das Wichtigste vorweg: Die Bezeichnungen mandantenfähig und multisite bedeuten nicht das Gleiche und sind auch keine Gegensätze. Es handelt sich dabei einfach um unterschiedliche Eigenschaften eines ERP-Systems. Eine Software kann also entweder mandantenfähig oder multisitefähig oder beides oder keines von beidem sein.
Schauen wir uns die Bedeutung der beiden Begriffe einmal genauer an:
1. Mandantenfähigkeit im ERP-System
Befassen wir uns zunächst mit der Frage: Was ist ein Mandant? Im ERP-Kontext ist unter diesem Begriff ein eigenständiger betriebswirtschaftlicher Akteur zu verstehen. Das kann zum Beispiel ein Unternehmen oder eine Tochterfirma sein.
Ein ERP-System ist dann mandantenfähig, wenn es in der Lage ist, mehrere Mandanten parallel auf einem physischen System zu verwalten. Jedes Unternehmen bekommt eine eigene Systeminstanz, die auf dessen individuelle Prozessstruktur zugeschnitten ist. Einfacher gesagt: Jeder Akteur hat seine eigene ERP-Instanz.
Mandantenfähige ERP-Systeme eignen sich besonders gut für Organisationen, die aus mehreren autonomen Teilorganisationen bestehen. Das bedeutet jedoch nicht, dass zwischen den Mitgliedern solcher Unternehmensverbünde keine Kooperation stattfindet. Im Gegenteil: Datenaustausch und Prozessinteraktionen über Tochter- bzw. Unternehmensgrenzen hinaus sind in Konzernen quasi Standard.
Betrachten wir dazu ein Beispiel:
Tochterunternehmen A bestellt bei Tochterunternehmen B Vorprodukte. B erstellt einen Vertriebsauftrag, dann einen Produktionsauftrag und liefert schließlich die Ware aus. Dies führt zum Wareneingang bei Unternehmen A. Anschließend schreibt Unternehmen B eine Rechnung, die Unternehmen A ausgleicht.
| Tochterunternehmen A | Tochterunternehmen B |
| Bestellung | |
| Vertriebsauftrag | |
| Produktionsauftrag | |
| Warenausgang | |
| Rechnungsausgang | |
| Wareneingang | |
| Rechnungseingang | |
| Rechnungsausgleich |
Solche Intercompany-Geschäfte sind in Unternehmensverbünden und Konzernen Alltag. Daher wäre es ungünstig, wenn für jede Transaktion ein Datenaustausch zwischen verschiedenen ERP-Systemen nötig ist. Was Sie wirklich wollen, ist eine Synchronisierung innerhalb eines einzigen Systems, denn das minimiert die Reibungsverluste.
Aktionen im Unternehmen A sollen automatisch Prozesse in der ERP-Instanz von Unternehmen B auslösen können und umgekehrt. Daher sind moderne ERP-Lösungen in der Lage, Daten auch zwischen eigenständigen Mandaten auszutauschen – ohne klobige Schnittstellen. Mandantenfähigkeit ist also nicht gleichbedeutend mit einem Silodenken – Flexibilität ist auch hier das A und O.
2. Multisite im ERP-System
Bei der Multisite-Fähigkeit steht nochmal eine ganz andere Frage im Mittelpunkt: die Standortorientierung. Bei Multisite-Strukturen kommt ein einzelnes ERP-System zum Einsatz, das jedoch mehrere Standorte gleichzeitig abdeckt. Jede Niederlassung hat hierbei Zugriff auf die Daten des Gesamtunternehmens (Auslastung, Lagerbestände etc.).
Zusätzlich sind Multisite-ERP-Systeme in der Lage, komplexe, standortübergreifende Organisationsstrukturen abzubilden. Zum Beispiel kann das System Fehlbestände an verschiedenen Standorten identifizieren und Material zentral nachbestellen. Infrastrukturen ohne Multisite-Fähigkeit müssten dazu regelmäßig Statusberichte über ihre Lagerbestände untereinander austauschen.
Ein Multisite-System behandelt das Unternehmen also nicht als eine Kombination unabhängiger Einheiten, sondern als eine gemeinsame Organisation. Die einzelnen Elemente dieser Gesamtorganisation sind wiederum mittels übergreifender funktionaler Prozesse verbunden. Allerdings handelt es sich dabei nicht um Intercompany-Prozesse. Die einzelnen Teilbereiche sind rechtlich keine eigenen Akteure und somit auch keine Mandanten.
Weiterhin besteht die Möglichkeit, einzelne Standorte separat zu steuern und zu analysieren. In manchen Situationen kann es nämlich relevant sein, eine Niederlassung losgelöst von der Gesamtorganisation zu betrachten. Beispielsweise kann ein Unternehmen einzelne Zweigstellen als Profitcenter mit eigener Gewinn- und Verlustrechnung führen. Das geht jedoch nur, wenn für diesen Standort auch eigene Daten vorliegen.
3. Zusammengefasst: mandantenfähig vs. multisite im ERP-System
| Mandantenfähig | Multisite |
| Jede eigenständige Organisation hat ihre eigene ERP-Instanz. | Eine einzelne ERP-Instanz verwaltet und steuert mehrere Standorte einer Organisation parallel. |
| Das ERP-System kann mehrere Instanzen auf einer einzelnen physischen Plattform betreiben. | Einzelne Niederlassungen können dennoch losgelöst von der Gesamtorganisation betrachtet werden. |
| Datenaustausch und Prozessinteraktionen mit anderen Tochterunternehmen sind möglich. | Jeder Niederlassung kann Zugriff auf die Daten des Gesamtunternehmens, z. B. Lagerbestände und Auslastung, gewährt werden. |
Wichtig zu wissen:
Die beiden Fähigkeiten sind in der Praxis nicht strikt voneinander abgegrenzt, sondern können zusammen in ein und demselben System existieren. So tauschen auch mandantenfähige Systeme Informationen zwischen den einzelnen Mandanten aus – obwohl diese eigentlich getrennt verwaltet werden. Und auch Multisite-Systeme können Standorte als eine Art Mandant betrachten, losgelöst von der Gesamtorganisation.
Tipps für eine erfolgreiche ERP-Konsolidierung
1. Wichtige Fragen klären
Wie der Artikel bisher gezeigt hat, ist die ERP-Zusammenführung in Unternehmensgruppen alles andere als eine triviale Angelegenheit. Sowohl auf strategischer als auch auf technischer Ebene dürfte es vor allem Laien schwer fallen, die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Folgende Fragen sollten Sie vor der Auswahl klären – am besten im Gespräch mit erfahrenen Experten:
- Welche Einheiten sollen wie stark integriert werden?
- Wie sehr unterscheiden sich die Prozesse an den einzelnen Standorten bzw. der einzelnen Mandanten?
- Ist es möglich, unterschiedliche Prozesse zu vereinheitlichen?
- Wer trägt die Verantwortung für Stammdaten, Prozesse und die IT-Infrastruktur?
- Welche Stammdaten können gemeinsam verwendet werden und welche müssen abweichen?
- Welche rechtlichen, sprachlichen oder regulatorischen Anforderungen gibt es?
- In welchem Umfang muss ein übergreifendes Reporting möglich sein?
2. Stolperfallen meiden
Auch während und nach der Umsetzung kommen Herausforderungen auf Sie zu, die den Erfolg des Projekts gefährden können, darunter:
- unterschiedliche Stammdatenstrukturen und Prozesslandschaften,
- heterogene IT-Landschaften und Systemaltlasten und
- Widerstände von Tochtergesellschaften.
Bedenken Sie immer:
Wenn ein Unternehmen die Einführung einer konzernweiten ERP-Lösung ablehnt, ist nicht immer die Software schuld. Manchmal weigern sich die Mitarbeitenden, weil sie ihre vertrauten Prozesse nicht ändern möchten. In so einem Fall hilft gutes Change Management.
Anwendungsfall aus der Praxis:
Robatech setzt auf Mandantenfähigkeit
Die Robatech GmbH hat sich für ein zentrales ERP-System mit Mandantenstruktur entschieden, um ihre länderübergreifende Zusammenarbeit effizienter zu gestalten. Dabei wurde die niederländische Tochter technisch in das System der deutschen Schwestergesellschaft integriert.
Die Mandantenfähigkeit von APplus erlaubt es Robatech, rechtlich selbstständige Einheiten auf einer zentralen Infrastruktur zu betreiben und dennoch getrennt voneinander zu verwalten. Auf diese Weise ist eine zentrale Pflege der Artikelstammdaten möglich, während sich Sprachen und Prozesse lokal anpassen lassen.
Seit der Einführung profitiert die Robatech GmbH unter anderem von folgenden Vorteilen:
- transparente Prozesse
- browserbasiertes Arbeiten an jedem Standort
- Abbau von Sprachbarrieren und verbesserte Zusammenarbeit
- optimierte Lagerlogistik durch digitale Lager- und Fahrzeugabbildungen als Service-Lager
- geringerer Zeitaufwand bei der Inventur
Auch wenn die Einführung von APplus anfangs auf Widerstände in der Belegschaft gestoßen ist, haben die Vorteile der Lösung das gesamte Team schnell überzeugt.
Fazit: Die ERP-Strategie muss zu Ihrer Organisation passen
Die Wahl der richtigen ERP-Konsolidierungsstrategie ist ein komplexer Balanceakt zwischen Standardisierung und Flexibilität. Eine volle Konsolidierung kann einzelne Tochterunternehmen ausbremsen, eine Teilkonsolidierung hingegen steigert den Arbeitsaufwand und kann die Transparenz senken.
Wer bei der ERP-Konsolidierung von Anfang an strategisch denkt, spart langfristig Zeit, Kosten und vermeidet unnötigen Frust. Entscheidend ist ein klares Zielbild, das auf die Bedürfnisse Ihrer Unternehmensgruppe optimal abgestimmt ist.
Selbst die weltbeste ERP-Infrastruktur bringt jedoch nur dann einen Mehrwert, wenn sie auch technisch sauber umgesetzt ist. Wichtige ERP-Funktionen wie Mandantenfähigkeit und Multisite dürfen in Ihrem Lastenheft daher auf keinen Fall fehlen.
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