Bei einem Großprojekt wie der ERP-Einführung sollte die Geschäftsleitung involviert sein – das ist unumstritten. Schließlich geht es um hohe Investitionen und strategische Entscheidungen mit langfristigen Auswirkungen.
Doch hätten Sie gedacht, dass die Führungsetage während eines ERP-Projekts auch Schaden verursachen kann? Grund dafür ist häufig eine falsche Aufgaben- und Rollenverteilung, die Verzögerungen und Budget-Überschreitungen nach sich zieht.
Stellt sich also die Frage: Welche Aufgaben sollte die Geschäftsleitung während der ERP-Einführung übernehmen – und welche Fettnäpfchen sollte sie besser meiden? Detaillierte Antworten zu den Dos and Don’ts während des ERP-Projekts finden Sie in diesem Artikel.
Dos: Diese Aufgaben sollte die Geschäftsleitung übernehmen
1. Strategische Fragen beantworten
Gleich am Anfang des Projekts kommt der Geschäftsführung eine bedeutende Aufgabe zu: Sie legt die strategische Ausrichtung des ERP-Projekts fest und definiert das Gesamtziel. Das ist deshalb so wichtig, weil die Einführung eines ERP-Systems immer langfristige Auswirkungen auf alle Abteilungen hat. Stimmt die Funktionalität der Lösung nicht mit der übergeordneten Vision des Unternehmens überein, sind teure nachträgliche Anpassungen unvermeidbar.
Dieser strategische Fokus führt dazu, dass die Geschäftsleitung zu Beginn des ERP-Projekts stärker involviert ist als in späteren Phasen. Zu diesem Zeitpunkt ist eher die Top-Level-Perspektive relevant, da grundlegende Fragen geklärt werden müssen. Dazu zählen:
- Welche Ziele will das Unternehmen mit der ERP-Einführung erreichen?
- Welche KPIs werden zur Erfolgsmessung herangezogen?
- Welche Abteilungen sollen an das ERP-System angebunden werden?
Nehmen wir an, Ihr Unternehmen wächst stark und möchte den globalen Marktanteil in den nächsten fünf Jahren verdoppeln. Ohne die Definition strategischer Ziele würde sich das Projektteam womöglich auf die Optimierung von Lagerbeständen konzentrieren – und nicht auf die Internationalisierung. Für die Expansionspläne unverzichtbare Features wie Mehrsprachigkeit oder ein länderübergreifendes Finanzmodul würden dann vielleicht fehlen. Kommunizieren Sie hingegen klare Prioritäten, lenken Sie das Projekt von Anfang an in die richtige Richtung.
Später verschieben sich die Aufgaben der Geschäftsleitung stärker in den Bereich Monitoring. In der Regel hält die Führungsetage engen Kontakt mit der Projektleitung und bespricht regelmäßig den Fortschritt mit dem Projektteam. Sie meldet sich zu Wort, falls Detailentscheidungen strategische Rahmenbedingungen betreffen.
Fehlender Rückhalt durch die Geschäftsführung ist ein häufiger Grund für das Scheitern eines ERP-Projekts.
2. Der Projektleitung den Rücken stärken
Eine weitere wichtige Aufgabe der Geschäftsführung besteht darin, geschlossen hinter dem Projektmanagement zu stehen und bei Bedarf Unterstützung anzubieten. Denn fehlender Rückhalt durch die Geschäftsführung ist ein häufiger Grund für das Scheitern eines ERP-Projekts. Das hat vor allem zwei Gründe:
- Mitarbeitende gewichten das ERP-Projekt nicht stark genug
Die wenigsten Unternehmen können es sich leisten, das Projektteam für die Dauer der ERP-Einführung komplett freizustellen. Deshalb müssen die Teammitglieder das Projekt meist parallel zu ihren Kernaufgaben betreuen. Wäre die Führungskraft in diesem Fall nicht dazu autorisiert, Leistung direkt einzufordern, würden die Kolleg*innen dem Tagesgeschäft wahrscheinlich den Vorrang geben. Damit wäre der Zeitplan des Projekts in Gefahr.
- Mitarbeitende übergehen die Projektverantwortlichen
Manche Mitarbeitende tendieren dazu, schwache Projektmanager*innen zu ignorieren. Sie stellen Entscheidungen in Frage und wenden sich mit Rückfragen direkt an die Führungsetage. Die Geschäftsleitung hat jedoch oftmals weder die nötige Zeit noch das erforderliche Know-how, um Detailfragen beantworten zu können. Damit sind Missverständnisse, Konflikte und weitere Verzögerungen vorprogrammiert.
Sorgen Sie also am besten dafür, dass die Projektleitung gegenüber ihrem Team mit der Stimme der Geschäftsführung spricht – zumindest in ERP-Fragen. Sobald Konflikte oder Widerstände auftreten, sollte die Firmenleitung bereit sein, aktiv zu intervenieren. Das stärkt die Autorität der Verantwortlichen und sorgt dafür, dass das Projekt nicht aufgrund von internen Auseinandersetzungen zu misslingen droht.
3. Ausreichend Befugnisse erteilen
Neben genügend Rückhalt und Unterstützung aus der Führungsetage benötigen Projektmanager*innen auch die erforderlichen Rechte und Freiräume, um das Projekt erfolgreich leiten zu können. Stellen Sie daher sicher, dass sie ohne permanente Rücksprache agieren können und genügend Ressourcen und Befugnisse besitzen. Hierzu gehören beispielsweise:
- Ein angemessenes Budget, über das die Führungskraft frei verfügen kann
- Genügend Personal, das sich zumindest zeitweise auf das ERP-Projekt konzentrieren kann
- Entscheidungsfreiheit bei der Auswahl von geeigneten Key-Usern
- Die Befugnis, interne Prozesse so anzupassen, dass sie den Fortschritt des Projekts fördern
All diese Mittel und Befugnisse sind für den reibungslosen Ablauf einer ERP-Einführung unverzichtbar. Bedenken Sie: Darf die Projektleitung nicht selbst entscheiden, werden die Mitarbeitenden die Geschäftsführung selbst wegen Nebensächlichkeiten um Rat fragen und eine Entscheidung fordern. Sie werden die Führungsebene zum Beispiel mit der genauen Ausgestaltung der Suchfunktion behelligen oder sie mit Fragen zum Navigationsmenü beschäftigen.
Das bedeutet nicht nur eine zusätzliche Arbeitsbelastung und mehr Stress für die Geschäftsleitung. Es führt auch immer wieder zu Verzögerungen, wenn der Chef oder die Chefin mal nicht verfügbar ist. Ein weitestgehend autonomes Projektteam kann Ihnen diesen Ärger ersparen.
Don’ts: Diese Fehler sollte die Geschäftsführung vermeiden
1. Die ERP-Projektleitung an sich reißen
Manche Unternehmen erklären die ERP-Einführung zur Chefsache und setzen ein Mitglied des Managements an die Spitze des Projektteams. Davon versprechen sie sich einen strategischen Fokus und weniger Konflikte zwischen Geschäftsleitung und Projektmitarbeitenden. Ein Irrtum: In der Realität bewirkt diese Besetzung genau das Gegenteil. Das hat vor allem zwei Gründe:
- Da die Geschäftsleitung bereits viele andere Verantwortlichkeiten besitzt, fehlt ihr normalerweise die nötige Zeit für die arbeitsintensive Projektkoordination. Kommt das Tagesgeschäft dazwischen, zieht das ERP-Projekt den Kürzeren. In Folge kommt es zu unerwünschten Projektverzögerungen.
- In der Regel ist die Geschäftsleitung nicht ausreichend mit den Arbeitsabläufen im operativen Tagesgeschäft vertraut und verfügt nicht über ausreichend Fachwissen. Daher kann sie den tatsächlichen Nutzen einer ERP-Funktion nur schwer beurteilen.
Die Geschäftsleitung sollte also nicht das ERP-Projektteam anführen. Effektiver ist es, wenn Sie eine Person suchen, die sich dem ERP-Projekt mit vollem Einsatz widmen kann. Für die Position wählen Sie am besten eine durchsetzungsfähige und zugleich einfühlsame Persönlichkeit aus, die zudem fachliche Kompetenz besitzt. Eine umfassende Expertise im Umgang mit ERP-Systemen ermöglicht es ihr, Risiken besser vorherzusehen, entsprechende Lösungen zu entwickeln und adäquat auf unvorhergesehene Probleme zu reagieren.
2. Kein Vertrauen haben
Ein weiteres No-Go ist mangelndes Vertrauen in die Kompetenz der Projektverantwortlichen. Manche Geschäftsführer zeigen wenig Zuversicht, dass die Führungskraft das Projekt eigenverantwortlich zum Erfolg führen kann. Sie neigen zu übertriebener Kontrolle und zweifeln Entscheidungen an.
Solch fehlendes Vertrauen schwächt die Autorität der Projektleitung und raubt ihr die Fähigkeit, das ERP-Projekt selbstständig zu koordinieren. Dadurch sinkt früher oder später die Motivation. Im schlimmsten Fall wird sie sich nicht mehr mit dem Projekt identifizieren. Dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis das Engagement nachlässt und das Projekt darunter leidet.
3. Micro-Management betreiben
Mangelndes Vertrauen bringt häufig eine weitere Verhaltensweise mit sich, auf die die Geschäftsleitung möglichst verzichten sollte: unnötiges Micro-Management. Bei diesem Führungsstil liegt der Fokus nicht auf den übergeordneten strategischen Zielen, sondern auf operativen Einzelheiten. Die Führungsetage mischt sich permanent in Detailentscheidungen ein und verlangt, dass selbst kleinste Arbeitsschritte abgesegnet werden.
Ein solches Missmanagement stört nicht nur die Arbeitsabläufe, es verkompliziert auch die gesamte Projektorganisation und mindert die Produktivität. Die Folge: Im Projektteam machen sich Unsicherheit und Frustration breit, die jegliche Kreativität, Eigeninitiative und Innovationsfreude hemmen. Stattdessen ist das Team mit zermürbenden Rücksprachen beschäftigt, die zu Reibungsverlusten und Verzögerungen führen.
Viel zielführender ist es daher, wenn die Geschäftsführung die Autonomie des Projektteams stärkt. Das hat folgende Vorteile:
- Entscheidungen können ohne lange Abstimmungsprozesse gefällt werden, was zu schnelleren Arbeitsabläufen und einem beschleunigten Projektfortschritt führt.
- Eigenständiges Handeln fördert ein positives Arbeitsklima und ein harmonisches Arbeitsumfeld, in dem sich Mitarbeitende wertgeschätzt und respektiert fühlen.
- Das Team fühlt sich dazu ermutigt, auch mal einen Blick über den Tellerrand zu wagen und innovative Lösungen zu finden.
- Zwischen Projekt- und Geschäftsleitung findet eine offene und transparente Kommunikation statt, wodurch mögliche Risiken früher zu Tage treten.
Fazit: Auf die richtige Rollenverteilung kommt es an
Ein erfolgreiches ERP-Projekt erfordert eine unmissverständliche Rollenzuweisung. Zwar ziehen Geschäftsführung und Projektmanager an einem Strang, doch ihre Aufgaben unterscheiden sich ganz eindeutig voneinander. Während sich die Führungsebene auf die strategische Ausrichtung konzentrieren sollte, muss die Verantwortung für das Projekt an sich bei der Projektleitung liegen. Nur so können schnelle Entscheidungen getroffen und der Zeitplan eingehalten werden.
Zweifel an den Fähigkeiten der Führungskraft sind während der ERP-Einführung genauso fehl am Platz wie übermäßige Kontrollhandlungen. Gefragt sind stattdessen ein starker Rückhalt und ausreichend Befugnisse, die den Projektverantwortlichen die nötige Autorität verleihen. Wenn Sie diesen Balanceakt zwischen Zurückhaltung und aktiver Unterstützung beherrschen, steht einer reibungslosen Zusammenarbeit nichts mehr im Wege.