Wer nach Erfahrungsberichten von ERP-Einführungen sucht, stößt nach kurzer Zeit auf Horrorgeschichten über gescheiterte ERP-Projekte. Von massiven Budgetüberschreitungen ist dort die Rede und von Systemeinführungen, die nach Jahren ergebnislos abgebrochen wurden.

Doch keine Panik: Ein ERP-Projekt ist nicht von heute auf morgen dem Untergang geweiht. Gravierende Probleme sind immer das Resultat von Fehlern, die vermeidbar sind. Mit guter Vorbereitung können Sie die Risiken auf ein Minimum reduzieren. 

Am besten befassen Sie sich zunächst mit den Ursachen, die ein ERP-Projekt zum Scheitern bringen. Im Anschluss zeigen wir Ihnen, wie Sie ein auf Grund gelaufenes Projekt mit dem richtigen Krisenmanagement wieder auf Kurs bringen.

Darum laufen ERP-Projekte häufig schief 

Unrealistische Zeit- und Kostenschätzung

Nicht selten unterschätzen Projektverantwortliche die erforderlichen internen Kapazitäten und Kosten. Tatsache ist, dass das Projektteam durchschnittlich mindestens die Hälfte seiner Arbeitszeit in die ERP-Einführung investiert. Kalkulieren Sie diese blockierten Ressourcen nicht ein, gerät Ihre Projektplanung schnell ins Ungleichgewicht.

Unklare Ziele und Vorgaben

Ein ERP-System generiert heute und in Zukunft nur dann den erwünschten Mehrwert, wenn es die Geschäftsstrategie abbildet. Vernachlässigen Sie die präzise Zieldefinition zu Beginn des ERP-Projekts, kann es sein, dass die Bedürfnisse des Unternehmens bei der Entwicklung nicht ausreichend berücksichtigt werden.

Falsche Besetzung des Projektteams

Es klingt paradox, doch viele Unternehmen wählen nicht die geeignetsten Projektleiter*innen und Key User aus. Sie fürchten, dass die Arbeitskraft dieser Leistungsträger*innen im Tagesgeschäft fehlen könnte. Besetzen Sie diese Positionen jedoch mit Personen ohne Kompetenz, drohen Konflikte und Fehlentscheidungen.

Fehlender Rückhalt durch die Geschäftsführung

Steht die Führungsetage nicht voll und ganz hinter der ERP-Einführung und dem Projektteam, schwächt das die Position der Projektverantwortlichen. Das Resultat: Kolleg*innen zweifeln Entscheidungen an und priorisieren das Tagesgeschäft höher. Dadurch entstehen Reibungsverluste, die das Projekt unnötig in die Länge ziehen.

Intransparenz gegenüber Mitarbeitenden

Findet die ERP-Einführung ausschließlich hinter verschlossenen Türen statt, fühlen sich manche Mitarbeitende nicht abgeholt. Sie erkennen den Mehrwert des Projekts nicht und gleichen das Informationsdefizit durch den Flurfunk aus. Dadurch verbreiten sich ganz schnell negative Gerüchte, die Angst und Widerstand schüren.

Ablehnung und Widerstand: Die Hürde der Anwenderakzeptanz 

Viele Unternehmen denken, dass technische oder planerische Probleme die größten Herausforderungen eines ERP-Projekts sind. In Wirklichkeit stellt der Mensch jedoch einen weitaus größeren Risikofaktor dar. Besonders kritisch ist der Bereich Anwenderakzeptanz: Lehnen Ihre Mitarbeitenden das ERP-System ab, kann selbst die beste Software keinen Mehrwert erzeugen. 

Zielführend gegensteuern können Sie in einem solchen Fall nur, wenn Sie die Ursachen kennen. Schauen wir uns also einmal an, aus welchen Gründen sich Widerstände gegen das neue ERP-System bilden.

Am Anfang steht die Angst

Moderne ERP-Software bildet das Prozess- und Fachwissen der Mitarbeitenden ab. Sie standardisiert viele Arbeitsabläufe und bringt plötzlich Prozesse und Kennzahlen ans Tageslicht, die vorher im Verborgenen geblieben sind. Diese neu geschaffene Transparenz sorgt dafür, dass Optimierungspotenziale deutlich werden.

Aus Sicht der Geschäftsleitung ist das durchaus positiv zu werten. Aus Perspektive mancher Mitarbeitenden hingegen ergibt sich ein anderes Bild: Sie befürchten, dass die Transparenz ihre Position überflüssig macht und die Standardisierung ihre Einzigartigkeit gefährdet.

Es folgen Misstrauen und Verweigerung

Hat sich erst einmal das Gefühl der Ersetzbarkeit in den Köpfen der Belegschaft eingenistet, droht eine negative Eigendynamik zu entstehen. Manche Mitarbeitende möchten ihr Wissen nicht preisgeben, um ihre Position zu sichern und den Erfolg des ERP-Projekts zu schmälern. 

Eine solche Verhaltensweise schadet dem Betriebsklima. Wenn alle Angestellten ihre Erfahrungen für sich behalten, brauen sich unterschwellige Machtkämpfe zusammen. Diese gipfeln in Spannungen und Konflikten, die eine effiziente Zusammenarbeit erschweren.

Lehnen Ihre Mitarbeitenden das ERP-System ab, kann selbst die beste Software keinen Mehrwert erzeugen.

So gewinnen Sie die Akzeptanz der Mitarbeitenden

Genug der Schwarzmalerei. Als ERP-Entscheider können Sie einiges tun, um die Akzeptanz Ihrer Mitarbeitenden zu steigern. Am besten ergreifen Sie von Vornherein die richtigen Maßnahmen:

Schaffen Sie eine offene Unternehmenskultur

Im Idealfall ist ein aktiver Informationsaustausch für Ihre Belegschaft ganz selbstverständlich. Transparenz ist dann kein furchteinflößendes Fremdwort mehr, sondern gelebte Realität.

Holen Sie alle Mitarbeitenden frühzeitig an Bord

Indem Sie das gesamte Unternehmen über das Projekt regelmäßig auf dem Laufenden halten, nehmen Sie der ERP-Einführung ganz automatisch den Schrecken. Erklären Sie Ihrem Team, warum Sie auf eine ERP-Lösung setzen und wie die Systemeinführung konkret abläuft. Handeln Sie nach dem Prinzip: Aus Betroffenen werden Beteiligte.

Benennen Sie die Vorteile der ERP-Lösung

Dass ein ERP-System die Arbeitsprozesse im operativen Tagesgeschäft erleichtert, dürfte Ihre Belegschaft brennend interessieren. Sprechen Sie diesen Vorteil unbedingt an. Haben die Anwender*innen den Mehrwert für ihre tägliche Arbeit verstanden, werden sie der Lösung positiv gegenübertreten.  

Nehmen Sie die Ängste Ihrer Mitarbeitenden ernst

Die Widerstände der Belegschaft zu ignorieren, ist keine gute Idee. Zielführender ist es, den Ängsten und Sorgen Gehör zu schenken und Befürchtungen mit Einfühlungsvermögen anzusprechen. Damit schaffen Sie eine Atmosphäre des Vertrauens und beugen Bedenken vor.

Mehr zum Thema Change Management: Wie viel Veränderung darf sein? 

Wenn das Projekt dennoch zu stranden droht: Das können Sie tun

Wenn Sie merken, dass Ihr ERP-Projekt auf der Kippe steht, hilft geschicktes Krisenmanagement. Dabei gilt: Bewahren Sie Ruhe. Treffen Sie keine Entscheidungen, ohne die Situation genau zu analysieren. Kurzschlussreaktionen können auf lange Sicht teuer werden.

1. Beziehen Sie den System-Anbieter ein

Im ersten Schritt besprechen Sie die Situation zusammen mit dem ERP-Anbieter. Machen Sie Ihrer Ansprechperson klar, warum Sie den Projekterfolg gefährdet sehen, und einigen Sie sich auf akute Maßnahmen. Ein vorläufiger Projektstopp gibt zum Beispiel allen Beteiligten Zeit, die Situation eingehend zu untersuchen.

2. Führen Sie eine Fehleranalyse durch

Fehlern im ERP-Projekt auf die Spur zu kommen, ist oft gar nicht so einfach. Das Zusammenspiel zwischen Ursache und Wirkung ist einfach zu komplex. Verzögerungen können beispielsweise das Resultat eines schlechten Change Managements sein: Das Projektteam leistet gute Arbeit, aber der Rest des Unternehmens lehnt das ERP-System ab. Daher sollten Sie bei der Fehleranalyse gründlich vorgehen und zusammen mit den Beteiligten das gesamte Projekt betrachten.

3. Evaluieren Sie die Erfolgsaussichten

Vergleichen Sie zunächst den geplanten mit dem tatsächlichen Projektverlauf: Wie groß ist die Abweichung? Und wie würden die Erfolgsaussichten aussehen, wenn Sie die Krise meistern? Meistens kann solides Krisenmanagement ein ERP-Projekt wieder auf die Schiene bringen. Manchmal ist das akute Problem jedoch nur das Symptom einer viel tiefer sitzenden Prozessschwäche. In solch einem Fall greifen keine kurzfristigen Gegenmaßnahmen – Sie müssen erst das Grundproblem angehen.

4. Überprüfen Sie das Projektteam

Bilden sich intensive Widerstände, die den Erfolg des ERP-Projekts gefährden, liegt der Fehler oftmals beim Projektteam. Insbesondere die Projektleitung sollten Sie an dieser Stelle hinterfragen: Macht sie keinen guten Job, können die anderen Teammitglieder ihr Potenzial nicht voll ausschöpfen.  

5. Kommunizieren Sie offen über die Krise

Auch im Krisenfall ist Transparenz das oberste Gebot. Machen Sie nicht den Fehler, die Schieflage des ERP-Projekts zu lange geheim zu halten. Gehen Sie lieber in die Offensive: Kommunizieren Sie ehrlich, wie der Stand der Dinge ist und vor welchen Herausforderungen das ERP-Projekt steht. Wichtig ist, dass Sie Lösungen parat haben, nicht nur Probleme. Suchen Sie den Dialog mit Ihren Mitarbeitenden.

6. Entwickeln Sie Gegenmaßnahmen

Wie die Gegenmaßen genau aussehen, hängt von den Ergebnissen Ihrer Ursachenforschung ab. Fühlt sich etwa ein Teil Ihrer Mannschaft nicht ausreichend abgeholt? Dann sollten Sie die Kommunikation verbessern, zum Beispiel durch einen ERP-Newsletter oder ein internes Wiki. Oder sind interne Machtkämpfe der Grund für die Probleme? Dann identifizieren Sie die Störenfriede und suchen Sie das Gespräch.

7. Vergleichen Sie alle Optionen

Sobald die nötigen Maßnahmen feststehen, nehmen Sie eine monetäre Einschätzung vor und führen eine Kosten-Nutzen-Analyse durch. Auf der einen Seite der Rechnung stehen die geplanten Maßnahmen. Auf der anderen Seite die Kosten der bisherigen ERP-Einführung, der Rückabwicklung und der eventuellen Folgeschäden durch unbeseitigte Schwächen der Organisation. Danach können Sie feststellen, ob sich eine Fortführung des Projekts lohnt.

8. Treffen Sie eine Entscheidung

Der nächste Schritt besteht darin, eine Strategie zu wählen und umzusetzen. Wenn Sie das ERP-Projekt fortsetzen wollen, führen Sie Ihre geplanten Maßnahmen durch. Sie beseitigen alle Fehlerquellen und bringen Ihr Projektteam wieder auf Kurs. Falls Sie sich für den Projektabbruch entscheiden, ist die Rückabwicklung zu organisieren.

9. Bauen Sie projektbegleitende Prozesse wieder auf

Lassen Sie das Projekt wieder anlaufen, stehen zunächst die Kernprozesse der ERP-Einführung im Vordergrund, wie Implementierung und Funktionstests. Aber auch projektbegleitende Prozesse wie Risikomanagement, Qualitätsmanagement, Monitoring und Reporting sollten langsam wieder starten. Zum einen gewinnen Sie dadurch die Kontrolle über das Projekt zurück. Zum anderen vermitteln Sie Ihren Mitarbeitenden, dass wieder Normalität einkehrt.

10. Führen Sie eine abschließende Analyse durch

Den Abschluss Ihrer Intervention bildet eine detaillierte Analyse des bisherigen Projektverlaufs – vor und nach der Krise. Dabei stehen zwei Fragen im Vordergrund:

  • Wie kam es zu Widerständen innerhalb der Belegschaft?
  • Was haben Sie gegen die Ablehnung unternommen?

Sinn des Ganzen ist keineswegs nur Dokumentation – Sie betrachten das Big Picture. Ist die Ablehnungshaltung Ihrer Belegschaft wirklich verschwunden oder haben Sie lediglich Symptome behandelt? Versuchen Sie, aus den Fehlern zu lernen und das weitere Projekt entsprechend anzupassen.

Fazit

Niemand befasst sich gerne mit der Möglichkeit, dass die ERP-Einführung scheitern könnte. Den Kopf in den Sand zu stecken, ist jedoch kontraproduktiv: Überlassen Sie die Belegschaft mit ihren Sorgen sich selbst, entwickeln sich Widerstände, die Verzögerungen und Mehrkosten verursachen.

Sind Sie jedoch auf die häufigsten Worst-Case-Szenarien vorbereitet, können Sie die Wogen souverän glätten und Ihr Projekt mit einem durchdachten Krisenmanagement vor dem Kentern retten. Indem Sie die richtigen Entscheidungen treffen, ist die Wahrscheinlichkeit recht hoch, dass Sie Ihr ERP-Projekt in einen sicheren Hafen bringen.