Einmal gekauft, arbeiten Sie die nächsten 10 bis 20 Jahre mit Ihrem ERP-System. Die Auswahl des richtigen Anbieters ist daher einer der kritischen Momente im Prozess der ERP-Einführung. Daher ist es wichtig, systematisch vorzugehen und keinen wichtigen Schritt zu überspringen.
Ein Instrument im Auswahlprozess wird jedoch noch oft unterschätzt: das Anbieter-Briefing. In diesem Artikel erfahren Sie, warum es so wichtig ist und wie die Agenda für ein ideales Briefing aussehen sollte.
Was ist ein Anbieter-Briefing (im ERP-Auswahlprozess)?
Ein Anbieter-Briefing ist ein persönliches Vorbereitungsgespräch zwischen Ihnen (als Kundenunternehmen) und den Anbietern, die sich in der engeren Auswahl (Shortlist) für die Einführung Ihres neuen ERP-Systems befinden. Typischerweise sind das 3 bis 6 Unternehmen. Im Briefing versorgen Sie diese mit allen relevanten Informationen, die für die anschließenden ERP-Workshops benötigt werden.
In den Workshops präsentieren die ERP-Dienstleister ihr System und spielen mit Ihrem Projektteam die wichtigsten Prozesse durch. Ihre spätere Auswahlentscheidung hängt wesentlich von dem Eindruck ab, den Sie in den Workshops gewinnen. Daher sollten Sie sichergehen, dass die Anbieter bestmöglich vorbereitet sind und Ihre Anforderungen genau verstehen.
Mehr erfahren: Was ist ein ERP-Workshop?
Welche Ziele verfolgen Sie mit dem Anbieter-Briefing?
Ein Info-Paket mit einer Standardpräsentation und Unterlagen reicht als Briefing nicht aus. Denn die maßgeblichen Ziele lassen sich nur bei einem Treffen mit dem ERP-Anbieter erreichen.
Ein Info-Paket mit einer Standardpräsentation und Unterlagen reicht als Briefing nicht aus.
Realistisches Bild Ihres Unternehmens vermitteln
Jedes Unternehmen neigt dazu, sich selbst möglichst positiv darzustellen – das ist menschlich. In vorgefertigten Präsentationen werden Schwächen oder Probleme oft relativiert oder verschwiegen. Dabei sind gerade diese Informationen interessant: Das ERP-Projekt soll schließlich einige dieser Probleme beseitigen. Im Gespräch können die ERP-Anbieter gezielt nachfragen und die Probleme analysieren. Sie können Themen ansprechen, die Sie in einem Dokument vielleicht vergessen hätten. So ergibt sich ein umfassendes, realistisches Bild Ihrer Situation.
Bessere Workshops
Das Briefing hilft den ERP-Anbietern, die Anforderungen und Erwartungen des Unternehmens vollständig zu verstehen. In den folgenden Workshops können diese dann optimal darauf eingehen und detailliert zeigen, wie sie ihre individuellen Anforderungen erfüllen würden. Die Qualität der Workshops steigt spürbar.
Zeitersparnis
Sie vermeiden Missverständnisse und unnötige Rückfragen, die den Ablauf der Workshops stören oder verzögern. Auch in den späteren Phasen der Zusammenarbeit profitieren Sie von der soliden Grundlage. Je mehr Fragen Sie zu Beginn klären, desto weniger Schleifen sind später erforderlich.
Fachlichen Eindruck gewinnen
In den persönlichen Gesprächen können Sie gezielt Fragen zu Ihren spezifischen Anforderungen stellen und die Lösungsvorschläge der Dienstleister diskutieren. So gewinnen Sie einen Eindruck davon, wie gut diese Ihre Branche und Ihre individuellen Herausforderungen verstehen. Diese Erkenntnisse helfen Ihnen, die fachliche Eignung der Anbieter für Ihr ERP-Projekt besser einzuschätzen.
Menschlichen Eindruck gewinnen
Neben der fachlichen spielt auch die zwischenmenschliche Ebene eine wichtige Rolle in einem Projekt. In den Briefing-Gesprächen lernen Sie die Mitarbeitenden des ERP-Anbieters persönlich kennen und erhalten einen ersten Eindruck von der Zusammenarbeit. Sie können beurteilen, ob die Chemie stimmt; ob eine vertrauensvolle Basis für eine Partnerschaft vorhanden ist.
Offene Kommunikation
In jedem ERP-Projekt gibt es kleine oder größere Herausforderungen und Konflikte. Diese müssen offen angesprochen werden. Im persönlichen Anbieter-Briefing kann die klare Kommunikation gleich von Anfang an „trainiert“ werden. Es bietet die Chance, Unklarheiten und Missverständnisse auszuräumen. Indem beide Seiten offen über ihre Erwartungen, Möglichkeiten und auch Grenzen sprechen, lassen sich spätere Enttäuschungen vermeiden.
Die ideale Agenda für ein Anbieter-Briefing
Auf der Agenda für die Veranstaltung sollten folgende Punkte stehen:

Präsentation des Unternehmens und des Projektteams
Zunächst möchten die ERP-Anbieter Ihr Unternehmen kennenlernen. Zeigen Sie in einer Präsentation Ihre Unternehmensstruktur und -kultur, Ihre Geschäftsziele und so weiter. Behalten Sie im Sinn: Es geht nicht um eine Marketingpräsentation, um sich in möglichst gutem Licht darzustellen. Sie möchten dem Dienstleister Informationen geben, die für das ERP-Projekt relevant sind. Erklären Sie ebenfalls Ihre Zukunftspläne, die das ERP unterstützen soll: etwa starkes Wachstum, Internationalisierung oder digitale Geschäftsmodelle.
Stellen Sie danach das Projektteam vor, das die ERP-Einführung begleiten wird. So wissen die externen Partner, wer ihre Ansprechpartner*innen sind und welche Rollen und Verantwortlichkeiten diese im Projekt haben.
Rundgang durchs Unternehmen
Wenn irgendwie möglich, finden die Briefings bei Ihnen vor Ort statt. Nach der Präsentation führen Sie Ihren Besuch durch Ihre Räumlichkeiten. So kann dieser die bisher abstrakten Informationen durch eigene Erlebnisse ergänzen. Zeigen Sie die verschiedenen Abteilungen, in denen das ERP genutzt werden wird. Lassen Sie Ihr Projektteam, oder einige davon, an der Tour teilnehmen. Sie können direkt Fragen beantworten.
Mehr erfahren: Deshalb lohnt sich ein Firmenrundgang mit dem ERP-Anbieter
Prozessbeschreibung und Beispieldaten
Zuletzt folgt die Beschreibung der Prozesse, die das ERP-System später abbilden soll. Konzentrieren Sie sich auf die Kernprozesse Ihres Unternehmens. Gehen Sie insbesondere auf Knackpunkte und Herausforderungen ein, die es zu meistern gilt. Formulieren Sie klare Erwartungen für jeden Prozess:
- Was ist das Ziel?
- Auf welche Sonderfälle muss man achten?
- Gibt es Schnittstellen zu anderen Prozessen oder Systemen?
- Mit welchen Ihrer aktuellen Prozesse haben Sie Schwierigkeiten?
Stellen Sie den ERP-Dienstleistern Beispieldaten zur Verfügung. Damit kann er die Prozesse später im ERP-System nachbilden und in den Workshops demonstrieren. Die Daten sollten echt sein, falls rechtlich möglich, oder zumindest den echten Daten gleichen. Stellen Sie eine kleine, hochwertige Auswahl an Datensätzen zusammen, die die Kernprozesse komplett abdecken: lieber 20 als 5.000.
Ebenfalls wichtig: Geben Sie allen Anbietern exakt die gleichen Daten. Nur so haben Sie später in den ERP-Workshops einen direkten, objektiven Vergleich.
Mehr erfahren: So beschreiben Sie Beispielprozesse für ERP-Workshops richtig
Tipps für das Anbieter-Briefing
Sorgfältig vorbereiten
Sammeln Sie alle relevanten Informationen und strukturieren Sie diese in einer logischen Abfolge. Erstellen Sie eine Agenda, die den Ablauf des Briefings klar vorgibt und allen Beteiligten vorab zur Verfügung gestellt wird.
Alle relevanten Stakeholder einbeziehen
Stellen Sie sicher, dass alle wichtigen internen Stakeholder am Anbieter-Briefing teilnehmen oder zumindest ihre Anforderungen und Erwartungen einbringen können. Dazu gehören neben dem Projektteam auch Vertreter*innen der Fachabteilungen, die mit dem ERP-System arbeiten werden.
Erwartungen und Anforderungen klar kommunizieren
Kommunizieren Sie Ihre Erwartungen und Anforderungen klar und unmissverständlich. Formulieren Sie konkrete Fragen und Aufgaben, anhand derer die ERP-Anbieter ihre Lösungen präsentieren können.
Angenehme Atmosphäre schaffen
Wählen Sie einen geeigneten Raum, in dem sich alle Teilnehmenden wohlfühlen und konzentriert arbeiten können. Planen Sie ausreichend Pausen ein und sorgen Sie für Getränke und kleine Snacks. Eine positive Atmosphäre fördert den offenen Austausch und die Kreativität aller Beteiligten.
Ergebnisse und Erkenntnisse dokumentieren
Dokumentieren Sie alles sorgfältig. Halten Sie fest, welche Fragen geklärt wurden, welche Anforderungen besonders wichtig sind und welche Punkte noch offen sind. Diese Dokumentation hilft Ihnen, die Ergebnisse des Briefings zu bewerten und die nächsten Schritte im ERP-Auswahlprozess zu planen. Gleichzeitig dient sie als Referenz für die weitere Zusammenarbeit mit den ERP-Anbietern.
Fazit: der Aufwand zahlt sich in jedem Fall aus
Anbieter-Briefings kosten deutlich mehr Aufwand, als Unterlagen zusammenzustellen und an alle zu verschicken. Diese Veranstaltungen kosten Zeit – Zeit, in der Sie und die Mitglieder Ihres Projektteams nicht verfügbar sind. Planen Sie einen halben Tag pro eingeladenem Unternehmen ein.
Der Aufwand lohnt sich mit Sicherheit. Durch die Briefings können sich alle Kandidaten auf Ihrer Shortlist optimal auf die anschließenden Workshops vorbereiten. Sie erhalten dadurch die bestmögliche Informationsbasis für die Auswahl Ihres ERP-Anbieters.
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